Umgang mit Trauma

„Trauma gehört zum Leben.“ Traumatherapeutin Pia Baerwald erklärt, wie Stress und traumatische Ereignisse das natürliche Zusammenspiel vom Körperempfindungen, Gefühlen, Denken beeinträchtigen. Ziel der körperorientierten Traumatherapie ist die Integration der traumatischen Erfahrung, die Wiederherstellung der Selbstregulation, der Beziehungsfähigkeit und das Vertrauen in die Selbstheilungskräfte.

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Transkript / Interview

Herzlich willkommen zum Business Talk
am Ku´damm. Mein Name ist Manuela Diehl. Mein heutiger Gast ist Frau Pia Baerwald.
Frau  Baerwald leitet zusammen mit Herrn Dr.
Sternberg das Traumatherapie Institut hier in Berlin. Neben ihrer Praxisarbeit
finden regelmäßig Seminare und Fortbildungen statt.

Manuela Diehl: Frau Baerwald,
was hat sie bewogen Traumatherapie zu einem Schwerpunkt ihrer therapeutischen Arbeit zu
machen?

Pia Baerwald: Erstmal
herzlichen Dank für ihre Frage. Ich bin selber als Körpertherapeutin tätig. Seit
30 Jahren arbeite ich damit und mein eigenes Erleben mit Traumatherapie war,
dass ich auch Sri Lanka ankam als der Tsunami passierte, ich sozusagen im Tsunami
gelandet war.

Über diese Erfahrungen, die ich ja
wie man sieht überlebt habe, bin ich durch die eigene Betroffenheit an die Traumatherapie
gekommen. Ich war auch selber erstmal in Behandlung und habe gemerkt, wie
wirkungsvoll diese Arbeit ist – es geht hier Schwerpunktmäßig um körperorientierte
Traumatherapie – und habe dann beschlossen, als ein weiterer Baustein, mich
selber darin ausbilden zu lassen. In den letzten zehn Jahren hat sich das einfach zu meinem Schwerpunkt
herauskristallisiert.

Manuela Diehl: Also vor
ihrer Erfahrung auf Sri Lanka hatten sie gar keinen Bezug zur Traumatherapie?

Pia Baerwald: Nicht ganz.
Ich hatte Bezug zur Traumatherapie, weil ich immer schon mit frühkindlichem Trauma
gearbeitet habe. Also ich habe mich ausbilden lassen in Körperpsychotherapie,
wo es nach der Therapie nach Wilhelm Reich und Alexander Lowen geht. Da geht es
um ganz frühkindliche Störungen, frühkindliche Traumata, Bindungsstörungen. Insofern
war das schon mal Thema, also die Grundlage war vorhanden. Durch den Tsunami
habe ich weiter gelernt mit Schock-Traumata umzugehen, das sind Traumata, die
passieren durch Unfälle, Naturkatastrophen, Erkrankungen, so dass es zu einem Schwerpunkt
geworden ist.

Manuele Diehl: „Trauma
gehört zum Leben“ kann man auf ihrer Webseite lesen und dass es auch angeborene
Heilungsmechanismen gibt im Nervensystem und auch selbst Regulierungsmöglichkeiten.
Bedeutet das, dass Menschen, die irgendein negatives Erlebnis haben, die ein Ereignis
trifft, dass die unterschiedlich damit umgehen? Sprich, dass das was für den
einen nur eine Unannehmlichkeit ist, dann für den anderen ein behandlungsbedürftiges
Trauma hinterlässt? Kann man das so sehen? Gibt es da diese großen Unterschiede?

Pia Baerwald: Ja, das kann man so sehen. Wir Menschen sind ja alle mit einer ganz bestimmten Stresstoleranz geboren worden, das heißt Stresstoleranz, Resilienz. Also was haben wir gelernt? Wie sind wir den Widrigkeiten des Lebens umgegangen? Wie sind wir damit aufgewachsen? Wieviel Unterstützung haben wir in der Kindheit bekommen? Wenn wir in herausfordernden Situationen waren, war jemand an unserer Seite oder mussten wir das alleine bestehen?

Wenn Trauma oder
grenzüberschreitende Situationen im aktuellen leben passieren, dann ist es oft nicht nur die eine Situation,
sondern damit zeigen sich auch ganz oft tiefer liegende, ungelöste Themen, wie
zum Beispiel Traumata, die damit auch an die an die Oberfläche kommen. Zum Beispiel
habe ich einen Klienten, der hatte eigentlich nur einen Fahrradunfall, der
relativ harmlos war, eine Knieverletzung. Der kann aber nicht mehr aufs Fahrrad
steigen und wundert sich und ärgert sich und sagt: „Was mit mir los? Ich will
doch nur wieder Fahrrad fahren!“ Und daran gekoppelt ist anscheinend, da sind
wir gerade dabei das zu erforschen, eine ganz andere Geschichte. Die hängt dann
noch dran und hängt möglicherweise mit ungelösten Traumata oder Situationen aus
seiner vergangenen Zeit zusammen. Das kann man erforschen. Wir Menschen sind ja
alle unterschiedlich und deswegen reagieren wir auch unterschiedlich. Jetzt
muss man halt gucken, was braucht diese Person um wieder in den Fluss des Lebens
zu kommen? Wir nennen das „in sein Toleranzfenster zu kommen“.

Ein Trauma ist sozusagen eine Grenzüberschreitung,
die uns erst mal ein bisschen aus der Sicherheit wirft, aus der Sicherheit: Mein
Leben geht nach so einer Grenzüberschreitung genauso weiter wie davor. Zum Beispiel:
Mein Leben geht nach dem Unfall genau so weiter wie vor dem Unfall. Die Sicherheit
wünschen wir uns natürlich alle und merken aber oft, dass wir das nicht mehr
hinkriegen. Ich kann mich nicht so gut regulieren, dass ich wieder das machen
kann was vorher war. Trauma ist immer so eine Situation. Zum Beispiel, was sehr
typisch ist, wenn etwas zu schnell auf uns zugekommen ist oder zu schnell
passiert. Ich konnte nicht mehr zeitgemäß reagieren oder etwas ist zu plötzlich
in unser Leben getroffen eingetroffen, was ich nicht mehr rechtzeitig kontrollieren
oder stoppen oder bremsen konnte. Oder ich habe viel zu viel auf einmal erlebt
und merke, ich bin völlig überwältigt, anhand von einem Gefühl der Überwältigung.
Ich kann selbst etwas nicht mehr alleine kontrollieren. So kann sich Trauma zum
Beispiel zeigen. Das ist bei jedem Menschen immer unterschiedlich. Und da
gucken wir immer, wie viel Unterstützung hat jemand in seinem Leben, um mit
dieser neuen Situation umzugehen? Was braucht er dafür um wieder zu lernen sich
selbst zu regulieren, sich selbst zu helfen, wieder in diese Kontrolle oder in
die Eigenermächtigung zu kommen. Das ist jetzt auch ein sehr schöner Begriff.

Manuela Diehl: Sie haben
ja mit Dr. Sternberg ein methodenübergreifendes Konzept entwickelt, um mit traumatischen
Erfahrungen umzugehen. Können Sie uns das ein bisschen näher darlegen?

Pia Baerwald: Ich komme
von meinen ersten Ausbildungen aus der humanistischen Psychotherapie. Ich habe
dort Bioenergetik gelernt, die Atemtherapie gelernt und habe die Gesprächstherapie
gelernt. In allen diesen Methoden sind Grundhaltungen enthalten, dass der

Mensch eigentlich alles was er zum Leben
braucht hat. Also wir sprechen vielleicht von Ressourcen oder Kraftquellen, nur
wenn ein traumatisches Ereignis passiert, stehen uns oft die Kraftquellen oder Ressourcen
nicht zur Verfügung, nicht aktuell spürbar wissentlich zur Verfügung.

Da helfen die verschiedenen Methoden
und Ansätze aus der humanistischen Psychotherapie, zu gucken wo ist gerade der Klient
und was braucht er gerade? Ist es vielleicht eher auf der körperlichen Ebene
oder ist es eher auf der mentalen Ebene? Geht erst darum zu verstehen, was ist
eigentlich mit mir los, was ist passiert? Oder geht es darum erstmal überhaupt Gefühle
zuzulassen, wieder ins fühlen zu kommen, sich selbst zu fühlen? Geht es darum
vielleicht wieder mehr in die Körperlichkeit zu kommen, zu spüren, wie bin ich
gerade hier, wie sitze ich hier grad, wie meine Atmung, wie nehme ich mich hier
und jetzt genau war? Das nennen wir methodenübergreifend, weil wir nicht genau
wissen, welche Methode braucht jetzt der Klient. Die Methode ist in der Regel
auch eher sekundär. In dieser Arbeit finden wir immer wieder bestätigt, geht es
letztendlich um die innere Haltung für mich als Therapeut. Mit welcher inneren Haltung
begegne ich meinem Klienten, der so etwas erlebt hat, der jetzt vor mir sitzt.

Manuela Diehl: Es kommt
also nicht auf die Methode an, sondern auf den Umgang zwischen Klient und Therapeut?

Pia Baerwald: Also die Methode
ist eher sekundär. Die Methode ist zwar wichtig und es kommt auch auf die Methode
an. In erster Linie geht es aber erstmal darum eine gute Beziehungsebene
herzustellen mit meinem Klienten, dass er sich wohl fühlt, dass er sich von mir
ernst genommen fühlt, dass er sich aufgehoben fühlt. Sich wieder fühlen kann, um
sich dem zu öffnen, was mit ihm los ist. Das meine ich mit Beziehungsarbeit. Wie
gehe ich als Therapeutin eine Beziehung mit einem Klienten ein, der so etwas
vielleicht ganz Fürchterliches erlebt hat, so dass er sich einlassen kann, und
dass er das Gefühl bekommt er ist sicher bei mir. Und dann gucke ich, welche Methode
greift da gerade, ist gerade angesagt.

Manuela Diehl: Das
betrifft Ihre Praxisarbeit mit den Klienten. Sie bieten aber auch Fortbildungskurse und Seminare an. Für
welche Leute, für welche Menschen sind diese Kurse gedacht? Wen möchten sie
damit ansprechen?

Pia Baerwald: Wir
sprechen damit Menschen an, die in erster Linie mit Menschen arbeiten. Das kann
vom Polizisten gehen, über den Arzt bis zur Yogalehrerin, von A bis Z. Trauma
ist ja heute in aller Munde und wenn wir sagen ein Trauma sind Ereignisse, wo
eine Grenze von mir überschritten worden ist und wo ich so aus diesem Toleranzfenster
gefallen bin und ich alleine mich nicht mehr regulieren kann, das heißt ich
komme nicht mehr von allein in meiner Handlungsfähigkeit, das kann in
vielen Berufen passieren. Das können pädagogische Berufe sein, sozialpädagogische
– wie gesagt der Polizist, der Feuerwehrmann, die pflegenden Berufe. Wir haben auch
Menschen aus dem Hospiz. Das sind alles Menschen, die andere Menschen durch
oder in traumatischen Situationen, die sie vielleicht aktuell haben, begleiten
oder die sie hinter sich haben und die jetzt Unterstützung für Stabilisierung
und Sicherheit brauchen. Also dass die Menschen lernen, wie sie mit den
Menschen, mit denen sie tagtäglich zu tun haben, wie sie mit diesen am besten
umgehen, um sie zu unterstützen und sie auch möglichst nicht zu retraumatisieren
– das ist ein ganz wichtiges Thema.

In aller erster Linie geht es immer
erst mal darum, wie kann ich wieder Sicherheit schaffen? Sicherheit ist für uns
alle das oberste Gebot. Wie kann ich das tun, wenn jemand vor mir sitzt, wo ich
sehe, er ist in einer Wand, in einem wahnsinnigen inneren Stress, in der Übererregung
– also man könnte sagen, sein Fuß steht die ganze Zeit auf dem Gas und der
zweite Fuß steht die ganze Zeit auf der Bremse, also gehaltene Spannung. Und
wie kann ich jemandem helfen, dass er wieder ein bisschen in die Entspannung
kommen kann, weil das hier und jetzt ein bisschen sicherer ist als die Situation
aus der er gerade kommt.

Manuela Diehl: Wie läuft
so eine Veranstaltung ab? Wie ist das Kursformat?

Pia Baerwald: Das sind
zwei mal drei Tage. Zwischen den beiden Blöcken liegen einige Wochen um das
gelernte aus dem ersten Block zu wiederholen und zu lernen und auch zu gucken
wie praktiziere ich das in meiner Arbeit. Mit Herrn Dr. Sternberg leite ich das
zusammen, das heißt es gibt zwei Dozenten und wir haben relativ kleine Gruppen.
Wir nehmen bis zu zwölf Teilnehmer, damit eine individuelle Begleitung auch
möglich ist. Und wir leiten unsere Teilnehmer an, auch mit eigenen Themen rein
zu kommen, denn wenn diese Menschen mit anderen Menschen arbeiten, die in
irgendeiner Form traumatisiert worden sind, sie selber auch schnell getriggert,
also betroffen sind. Die Frage ist immer, wie kann ich mich selber regulieren
um dann jemandem anderen zu helfen sich selbst zu regulieren? Also was kann ich
selber für mich tun, um mich wieder ein bisschen mehr zu entspannen, ein
bisschen mehr Halt und Orientierung zu bekommen, um dann einen anderen Menschen
darin zu begleiten.

Manuela Diehl: Auch im Sinne
von Abgrenzung?

Pia Baerwald: Ja, auch
im Sinne von Abgrenzung. Also gerade, wenn ich mit jemandem arbeite,
herauszufinden was ist hier meins, was sind vielleicht auch meine Gefühle oder
was ist mein eigener Stress oder meine Spannung, und was gehört zu ihnen. Das
ist ganz wichtig, weil sich das ganz oft schnell vermischt. Wenn wir betroffen
sind, mischt sich das ganz schnell und dann weiß ich nicht mehr, fühle ich
jetzt eigentlich was der andere fühlt oder bekommt der meinen Stress mit. Also
zu lernen zu differenzieren, ist ein ganz wesentlicher Bestandteil unserer Arbeit.

Neben den theoretischen Einheiten
üben wir ganz viel in diesen Fortbildungen. Wir haben viele kleine Räume in und
an unserem Platz, wo Übungsgruppen sich zurückziehen können, um die Methoden, die
wir anleiten zu üben. Das begleiten wir individuell und treffen uns danach
wieder im Plenum und besprechen das, unterfüttern das immer mit weiterer Theorie,
so dass unsere Teilnehmer wirklich mit guten, praktisch anwendbaren und
nützlichen Handwerkzeugen in ihre Arbeit gehen können. Aus meiner Sicht geht
das nur über die Selbsterfahrung. Wie mache ich es selbst, um jemanden anderes
darin unterstützen zu können.

Manuela Diehl: Was
möchten sie den Teilnehmern vermitteln? Also mit welchen neuen Erkenntnissen und Fähigkeiten sollen
sie aus dem Kurs nach Hause gehen? Dass sie sich eben lernen abzugrenzen, um sich
dem Betroffenen zuwenden zu können ohne ihn zusätzlich noch zu belasten, indem
sie sich mit ihm zu sehr identifizieren?

Pia Baerwald: Richtig, und
gleichzeitig in diese Resonanz zu gehen, also mitzuschwingen mit dem anderen,
zu erahnen: Mein Gott, was hat er wohl erlebt? Wie mag es im wohl gehen? Was
braucht er da jetzt? Was würde ihm guttun? Das ist so dieses innere mitschwingen
in den anderen. Das ist etwas, das wir lehren. Und natürlich wollen wir Orientierung
geben, was hilft mir selbst, wenn ich belastet bin, für Orientierung, wie kann
ich da jemanden anderes auch wieder anleiten. Das gehört eigentlich alles unter
diesen Begriff der Selbstregulierung. Wie gehe ich mit meinem eigenen Stress um,
mit eigenen Triggern, mit eigener Spannung und eigenen Themen, die berührt
werden in der Arbeit mit jemandem anderen.  

Manuela Diehl: Ich
bedanke mich recht herzlich für das Gespräch.

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