Herr Scheidacker, Sie sind Experte, wenn es Immobilien geht und die Immobilienbranche ist ein wenig eingebrochen im Moment. Man kann eigentlich sagen, der Boom der letzten Jahre ist deutlich zurückgegangen. Demzufolge wird auch die Nachfrage nach Immobilien und Dienstleistungen dazu, wie zum Beispiel Finanzierung, Beurkunden und so weiter auch als rückläufig betrachtet. Wie sehen Sie, der mitten im Geschehen ist, aktuell diese Marktentwicklung?
Tobias Scheidacker: Für den Berliner Markt sehe ich keinen großen Einbruch. Ja, die Beurkundung Zahlen sind zurückgegangen, also die Zahl der Verträge hat abgenommen. Aber das bietet auch Chancen. Ich denke, dass im Moment viele Menschen zum Zuge kommen, wenn sie eine Wohnung kaufen wollen, die vor zwei, drei Jahren Schwierigkeiten gehabt hätten, eine Wohnung zu kaufen, weil so viel Bewegung im Markt war, dass man sehr schnell sein musste, wenig Zeit hatte, vielleicht auch das Geld schon auf dem Konto haben musste, um sofort reagieren zu können. Jetzt ist der Markt wieder so, dass man eine Finanzierung organisieren kann, den Vertrag prüfen kann, sich damit befassen kann. Also auch nicht professionell Beteiligte am Immobilienmarkt sinnvoll zum Zuge kommen können. Wir haben häufig in den Beurkundungen Menschen sitzen, die kommen von auswärts, wollen nach Berlin ziehen, finden hier keine Mietwohnungen oder kommen vielleicht aus kulturellen Gründen auch gar nicht auf die Idee, sich eine Wohnung anzumieten, sondern die kaufen eine, wenn hierherziehen. Und für solche Beteiligte war es in der Vergangenheit nicht einfach, aus dem Ausland in Deutschland eine Immobilie zu finden und zu kaufen – und das alles sehr unter Zeitdruck. Das ist jetzt etwas entspannter. Die Beurkundungen finden also statt. Es ist nicht so, dass der Markt tot ist.
Wir haben trotzdem die Erfahrung gemacht, dass viele große Maklerbüros Personal reduzieren. Würden Sie sagen, das ist eine Panik Reaktion, die wieder zu neuen Problemen führt, sobald sich das alles wieder ein bisschen eingependelt hat? Oder ist es eher eine angemessene Reaktion auf die Marktbedingungen?
Tobias Scheidacker: Große Maklerbüros, die sehr viel Personal beschäftigen, die haben natürlich hohe laufende Kosten. Und wenn weniger Beurkundungen stattfinden oder wenn in einem bestimmten Segment weniger Beurkundung stattfinden, wie zum Beispiel bei Wohnen und Geschäftshäusern zur Kapitalanlage, dann kann es schwierig sein, fortlaufend diese Kosten zu halten. Ich weiß auch von größeren Maklerunternehmen, dass die Leute in Kurzarbeit gegangen sind, dass auch Entlassungen stattgefunden haben. Aber das führt nicht dazu, dass der Markt schrumpft, sondern die Leute, die dann freigesetzt werden, die gründen häufig ihre eigene Maklerfirma. Die gehen dann sehr individuell an den Markt und kümmern sich eben nicht mehr um 1.000 Objekte gleichzeitig, sondern vielleicht noch um zwei oder drei, die sie akquiriert haben, das aber sehr viel individueller als in der Vergangenheit. Also die Qualität im Markt, die steigt nach meinem Eindruck, die Qualität der Arbeit von Maklern im Markt. Und die Unternehmen, die schon in der Vergangenheit mit einem sehr guten Ruf und sehr hoher Qualität im Markt waren, die funktionieren auch weiter.
Noch eine Frage dazu. Der Markt ist im Moment ist relativ pessimistisch, weil die Nachfrage nach Immobilien tendenziell gerade sinkt. Vielleicht haben wir in Berlin nicht ganz so das Problem, aber wenn wir ganz Deutschland betrachten. Und viele sind sogar der Meinung, dass die Preise erstmal eine ganze Weile stagnieren werden oder sogar noch weiter fallen werden. Welche Meinung teilen Sie? Was denken Sie, wenn Sie so ein bisschen in die Glaskugel schauen, wo geht die Reise hin? Vielleicht in den nächsten fünf bis zehn Jahren?
Tobias Scheidacker: Für Berlin erwarte ich keinen nennenswerten Einbruch. In Berlin ist die Nachfrage weiterhin sehr hoch. Und stagnierende Preise sehe ich offen gestanden nicht wirklich als Problem. Denn was auf gar keinen Fall stagnieren wird, sind die Mieten. Also wenn Sie jetzt in Berlin eine Wohnung kaufen und sich der Kaufpreis nicht entwickelt in den nächsten zehn Jahren, aber die Miete sich um die Hälfte erhöht oder vielleicht verdoppelt – der Druck im Markt ist ja sehr hoch – dann haben Sie ein gutes Geschäft gemacht. Viele Beteiligte gehen so an den Markt. Die versuchen sich in die Situation zu versetzen: Wie wird der Markt in zehn Jahren sein? Und schauen dann zurück auf heute. Und die Entscheidung ist häufig: Es ist ein guter Zeitpunkt, zu kaufen.
Dann sprechen wir noch einmal kurz über das geliebte Eigenheim, was ja auch ein Traum oder ein Wunsch ist, gerade von vielen Familien, die sagen Mensch: „Ich möchte meine Kinder im eigenen Haus groß werden sehen und im Garten.“ Und hohe Immobilienpreise in Kombination mit den doch recht stark gestiegenen Zinsen führen letztendlich auch zu erheblich höheren Finanzierungskosten, wo viele Familien oder viele Kaufwillige vielleicht sagen: „Oh, ich weiß nicht, ich glaube, das übersteigt mein Budget.“ Würden Sie in solchen Fällen sagen, dann ist das Mietobjekt, die Mietwohnung doch die bessere Option, gerade wenn wir von großen Metropolen wie vielleicht Berlin, Frankfurt oder München sprechen?
Tobias Scheidacker: Das Eigentum ist auf jeden Fall die bessere Wahl, aus mehreren Gründen. Zum einen, wenn man das finanziell betrachtet, ist es so: Im Eigentum baue ich Vermögen auf. Das tue ich als Mieter nicht. Als Mieter baue ich das Vermögen des Eigentümers auf, des Vermieters. Und 30 Jahre später ist die Immobilie in der Regel abgezahlt. Sie gehört mir. Ich zahle keine Miete. Also finanziell ist das sicherlich eine gute Entscheidung. Es gibt aber weitere Aspekte, die da eine Rolle spielen, zum Beispiel die Selbstverwirklichung in der eigenen Immobilie, sowohl in der Wohnung als auch im Eigenheim. Wenn ich miete, dann gibt mir der Vermieter die Regeln vor. Wenn ich im Eigentum wohne, gebe ich mir selbst meine Regeln vor und ich kann nicht gekündigt werden. Das ist eine tolle Sache. Gerade jetzt in Berlin in der Situation, wo erhebliche Knappheit am Mietwohnungsmarkt herrscht und doch die eine oder andere Wohnung freigemacht wird. Das kann einem als Eigentümer nicht passieren. Und ja, die Finanzierung ist schwieriger geworden. Aber es gibt Finanzierungsvermittler, die auch heute noch gute Konditionen finden. Es ist teurer geworden und dann muss man sich ein bisschen einschränken, wenn man das nicht so einfach bezahlen kann. Dann fährt man halt einmal weniger in den Urlaub oder man lebt etwas bewusster mit den Kosten. Aber es geht auch heute noch.
Sie haben gerade etwas ganz Wichtiges genannt, und zwar die Eigenbedarfskündigung, die ja über vielen Mietern wie so ein Schreckgespenst schwebt, weil man viele Storys hört von Menschen, die nach vielen Jahren in der Mietwohnung ausziehen müssen. Wie schnell ist so was umzusetzen vom Vermieter, vom Eigentümer? Und ist es wirklich so, dass viele Eigenbedarfskündigungen existieren am Markt?
Tobias Scheidacker: Ja, die Eigenbedarfskündigungen bilden bei uns im Anwaltsbereich seit Jahren einen Schwerpunkt der Tätigkeit. Das begann, als der damalige Berliner Senat den Mietendeckel beschloss. Da haben viele Eigentümer entschieden, dass sie nicht mehr vermieten, sondern lieber selber nutzen wollen, weil es sich nicht mehr lohnt. Das hat zu einer Verknappung im Markt geführt und diese Verknappung hat dann den Prozess verstetigt. Es ist heute so, wenn Sie in Berlin Eigentum besitzen und ein Enkel oder ein Kind oder jemand anderes aus der Familie benötigt hier eine Wohnung, dann besteht die Option, eine Wohnung anzumieten in vielfacher Hinsicht gar nicht mehr so, wie sie früher bestanden hat. Das heißt, man muss dann eine Wohnung aus dem eigenen Bestand kündigen, damit das Familienmitglied hier in Berlin eine Wohnung bekommt. Und das verstetigt sich dann von selbst. Das ist ein Prozess, der sich selbst verstärkt. Wir haben auch heute noch sehr viele Eigenbedarfskündigungen. Ich dachte, nachdem der Mietendeckel aufgehoben wurde durch das Bundesverfassungsgericht, dass sich das wieder abschwächen wird, aber das hat es nicht. Es ist weiterhin so, dass wir sehr viele Eigenbedarfs-Kündigungen aussprechen.
Und als Mieter habe ich keine Chance, das irgendwie in die Länge zu ziehen?
Tobias Scheidacker: Da ist wenig zu machen. Also im Ergebnis gehen die aller allermeisten Eigenbedarfskündigungen durch, weil tatsächlich der Bedarf da ist. Also der Verdacht, der häufig besteht, dass der Vermieter das nur macht, weil ihm die Miete nicht mehr passt oder weil er die Mieter nicht mehr mag, das entspricht selten der Realität. Und wenn es so ist, dann führen wir die Mandate nicht. Wir versuchen schon zu filtern und führen die Prozesse nur, wenn tatsächlich ein Bedarf besteht. In der Regel so, dass der Mieter dann weichen muss, weil der Eigentümer stärkere Rechte hat. Ausgenommen in Sondersituationen. Es gibt Kündigungsschutzfristen nach Umwandlung von Eigentumswohnungen, zehn Jahre, da kann nicht gekündigt werden. Es gibt manchmal Mietverträge, in denen die Einwohner Kündigung ausgeschlossen ist, aus irgendwelchen Gründen, da wenn zum Beispiel eine Mietermodernisierung in den 80er Jahren vereinbart und das mit ausgeschlossen wurden. Und es gibt manchmal, sehr selten, Härtefälle bei Mietern, wo man sagt: „der ist in einer so besonderen persönlichen Situation, dass man den nicht aus seiner Wohnung wirft.“ Das wird in der Regel eingewandt von allen Mietern, die gekündigt werden. Es ist aber so, dass eine besondere persönliche Härte nur in sehr seltenen Fällen vorliegt, sodass im Ergebnis die meisten Mieter weichen müssen. Alle anderen Fälle, in denen es vertraglich nicht geht oder eine Sperrfrist besteht, die filtern wir als Anwälte im Vorfeld raus und beraten die Eigentümer entsprechend, so dass dann gar keine Kündigung erklärt wird oder kein Prozess startet. Aber wenn wir eine Kündigung aussprechen, haben wir das geprüft, dann geht es auch. Und in der Regel sind die Prozesse erfolgreich und der Mieter muss weichen.
Herr Scheidacker, es hat Spaß gemacht, sich heute mit Ihnen zu unterhalten. Wir haben viel gelernt und vielen Dank für Ihre Zeit.