Das Konzept der Kreislaufwirtschaft (Circular Economy) gilt als Wirtschaftsmodell der Zukunft. Können Sie uns dieses Modell genauer erklären?
Wolfgang Korek: Zunächst einmal sei erwähnt, dass die Begriffe Kreislaufwirtschaft und Circular Economy oftmals synonym verwandt werden, es aber nicht notwendigerweise sein müssen. Die “Kreislaufwirtschaft” beschreibt einen Ansatz, nachdem Ressourcen durch ständige Wiederverwendung und Weiterverarbeitung so lange wie möglich erhalten, eben im Kreislauf, bleiben. Das Ziel dabei ist, möglichst immer den höchsten Nutzen oder Wert zu erhalten, z.B. durch Upcycling, und so Abfälle, Emissionen und Energieverbrauch für die Neugewinnung oder -produktion zu vermeiden. Kreislaufwirtschaft an sich bedeutet also schon viel mehr als Abfallwirtschaft oder Recycling. Der Begriff “Circular Economy” oder auch “zirkuläre Wirtschaft”, v.a. geprägt von der Ellen MacArthur Stiftung, wird mitunter als ein noch weiter über die Kreislaufwirtschaft hinausgehende Vorgehensweise betrachtet. Sie betrachtet nicht nur den reinen Abfallfluss, sondern vielmehr den gesamten Produktlebenszyklus und setzt dabei bereits beim Design an, welches kreislauffähige Produkte vielfach erst ermöglicht. Jeder kennt den sinnbildlichen Joghurtbecher, dessen Papieretikett fest mit dem Plastik verklebt ist und dessen Deckel wiederum mit Folien und beschichten Papier versehen sind. Am Ende wandert alles zusammen in eine Tonne und jeder Wertstoff für sich geht in der Müllverbrennung verloren, da solche Verbundstoffe für den Recylingprozess oft nur schwer wieder aufbereitet werden können. Daneben beschreibt zirkuläres Wirtschaften aber auch eine systemische Transformation, an der alle Akteure von der Politik über die Wirtschaft bis zum Konsumenten mitwirken. Nicht zuletzt gewinnen hier natürlich auch Überlegungen zur Verwendung Erneuerbarer Energien, energieschonende Logistik und ergänzende bioökonomische Ansätze an Bedeutung. Beides sind Gegenpole zur bisher vorherrschenden “linearen Wirtschaft”, die darauf aufgebaut ist, Ressourcen zu gewinnen, in z.B. Alltagsprodukte umzuwandeln, diese zu gebrauchen und am Ende ihres Lebenszyklus zu entsorgen. Im schlimmsten Fall landen diese mitunter noch werthaltigen Produkte dann in der Verbrennung oder auf einer Deponie und werden somit der Kreislaufführung gänzlich entzogen. Das bereitet vor allem Probleme im Hinblick auf endliche Ressourcen und die damit einhergehenden Umweltbelastungen. Aus meiner Sicht als Wirtschaftsförderer ist klar, dass die zirkuläre Wirtschaft die Zukunft ist. Nicht zuletzt, weil sie sehr viel Raum für Innovation, alternative Geschäftsmodelle und Zusammenarbeit über die klassischen Grenzen von Wirtschaftsbereichen hinweg ermöglicht. Genau da setzen wir mit unserer Arbeit an.
Immer wieder bekommt man zu hören, dass die lineare Wirtschaft ausgedient hat. Wie schätzen Sie das ein?
Wolfgang Korek: Wir dürfen uns nichts vormachen: die Circular Economy steckt, insb. global betrachtet, noch in den Kinderschuhen und die lineare Wirtschaft, mit all ihren negativen Facetten in ökonomischer, sozialer und ökologischer Hinsicht, wird uns noch eine ganz Weile lang begleiten. Aber je früher das Konzept der linearen Wirtschaft in unseren Köpfen ausgedient hat, desto früher schaffen wir den Übergang zu einer Circular Economy. Für ihre Schrittweise Abschaffung sorgen sowohl der Markt als auch der Gesetzgeber. Mit zunehmender Rohstoffknappheit und effektiveren wie effizienteren Recyclingtechnologien wird die Nutzung von Primärressourcen in vielen Sektoren schlichtweg zu teuer, oder ist es bereits. Gleichzeitig steigt seit Jahren das Konsumenteninteresse an nachhaltigen Produkten und die Plastiktüte ist zum Symbol für Ressourcenverschwendung geworden. Auf der anderen Seite wird insb. in der EU immer striktere Gesetzgebung erlassen, um die Transition zu beschleunigen. Vielen bekannt ist das EU-weite Verbot von Plastikstrohhalmen, welches seit letztem Jahr greift. Ein weiteres Beispiel ist das französische Anti-Verschwendungsgesetz, welches bereits seit diesem Jahr u.a. Plastikverpackungen für Obst & Gemüse < 1,5 kg sowie für Teebeutel und ab 2026 gar den Einsatz von Mikroplastik in Kosmetikartikeln verbietet. Mit der geplanten „Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie“ möchte die Ampel-Koalition auch hierzulande Akzente setzen und rohstoff-politische Strategien bündeln. Ziel ist eine EU-weite Herstellerverantwortung und spezifischere Anforderungen an Produkte, damit diese langlebig, wiederverwendbar, recycelbar und reparierbar sind. So wurde z.B. schon die Einführung eines „right to repair“ angekündigt, um den Produktlebenszyklus insb. von Elektronikgeräten zu verlängern. Die Circular Economy wird zwar primär mit Ressourcenschonung in Verbindung gebracht, hat darüber hinaus jedoch auch einen elementaren Anteil am Erreichen unserer Klimaschutzziele und an der Erholung unserer natürlichen Ökosysteme.
Das Wirtschaftsmodell Circular Economy wird immer als nachhaltig betitelt. Auf welche Weise fördert die Circular Economy die Ressourcenschonung und wie erhöht sie die Wertschöpfung?
Wolfgang Korek: Die Circular Economy fördert die Ressourcenschonung, da sie Wirtschaftswachstum von Ressourcennutzung entkoppelt. Nehmen wir das Geschäftsmodell Product-as-a-Service als Beispiel. Unternehmen erzielen ihre Gewinne hier nicht mehr dadurch, möglichst viele Produkte zu verkaufen und somit möglichst viele Ressourcen zu verbrauchen. Stattdessen werden Gewinne dadurch erzielt, dass der Kunde das Produkt möglichst lange nutzt. Da das Unternehmen der Eigentümer des Produkts bleibt, hat es einen unmittelbaren Anreiz, dessen Lebenszyklus durch Reparaturservices zu verlängern und den Kunden durch Rücknahme- und Austauschservices zu halten. Kreislauffähigkeit ist jedoch kein Freifahrtschein für unnötige Produktion. Insbesondere der Energiekreislauf ist nicht gänzlich zu schließen und Fahrlässigkeiten wie unsachgemäße Entsorgung können den Kreislauf stören und Abfall erzeugen. Diesen gäbe es in einem Idealzustand der Circular Economy jedoch nicht. Wertschöpfung wird also erhöht, indem neue Unternehmen und innovative Geschäftsmodelle entstehen. Zudem fördert die Circular Economy regionale Wertschöpfung. Dies ist bereits heute sichtbar, bspw. im Second-Hand Fashion Sektor oder im Handyreparaturladen um die Ecke. Viele weitere Sektoren werden hinzukommen bzw. stark wachsen, wie der Markt für second-life Batterien oder der Markt für aus Reststoffen gefertigte Produkte.
Die Liste von den Einsatzmöglichkeiten des Modells ist lang. Wie können Unternehmen die Circular Economy im eigenen Unternehmen integrieren?
Wolfgang Korek: Grundsätzlich kann man hier unterscheiden zwischen zirkulärer Optimierung im laufenden Betrieb auf der einen und zirkulären Geschäftsmodellen auf der anderen Seite. Optimierung geht von klein bis groß. Angefangen bei der Nutzung wiederverwendbarer Transportverpackungen bis hin zur Weiterverwertung von Prozesswärme oder zuvor unerwünschter Nebenerzeugnisse. Durch die Einführung eines Rohstoffmanagements können vereinzelte Ansätze zusammengeführt und strategisch gesteuert werden. Die Circular Economy stellt das Produktlebensende (end-of-life) stets an den Anfang des Produktentwicklungsprozesses. Bevor ich bereits an die Herstellungsweise einer neuen Produktidee denke, sollte ich mir überlegen, was mit dem Produkt nach dessen Gebrauch passiert. Wird es entsorgt (wenn ja, wie?)? Kann es wiederverwendet werden? Benötigt der Kunde überhaupt ein Produkt als Eigentum oder muss er lediglich einen temporären Bedarf decken? Aus diesen Fragen ergibt sich, welches Produktdesign, welche Materialien und welches Geschäftsmodell sinnvoll sind. Gute Berliner Beispiele für zirkuläre Geschäftsmodelle sind circular.fashion, Carbon Instead, DYCLE, Kaffeeform oder Everphone. All diese innovativen Unternehmen haben gemein, dass sie die zuvor beschriebenen Ansätze der Circular Economy als Grundlage ihres Wirtschaftens integriert haben.
Know-How, Fördermöglichkeiten und Praxisanwendung unterstützen die Umsetzung von zirkulären Wirtschaften in kleinen und mittelständischen Unternehmen. Welche Chancen bietet das vor allem für KMU und wie können diese von dem Wirtschaftsmodell profitieren?
Wolfgang Korek: In der Tat gibt es bereits einiges an Möglichkeiten, um KMU zu unterstützen. Im Rahmen unseres neuen Nachhaltigkeitsservices helfen auch wir als Berlin Partner mit dem Aufzeigen von Lösungsansätzen, Kooperationen und Förderprogrammen. Hilfreich ist auch die Orientierung an Best Practices. Experten-Organisationen wie die Ellen MacArthur Foundation, Circular Berlin oder Cradle-to-Cradle e.V. haben neben vielerlei Studien und Leitfäden einige davon zusammengetragen.
Es gibt mehrere Gründe dafür, dass vor allem KMU von der Circular Economy profitieren können. Zum einen genießen KMU beim Thema Nachhaltigkeit traditionell einen großen Vertrauenszuschuss. Großunternehmen wie IKEA oder Zalando sind tatsächlich bereits sehr aktiv in diesem Thema, sind der breiten Öffentlichkeit hierfür jedoch noch nicht bekannt. Zum anderen ist die Circular Economy insgesamt noch ein sehr junger Markt, der abseits einiger Vertreter der traditionellen Abfall- und Recyclingbranche noch nicht von Großunternehmen besetzt ist. Somit bietet er viel Platz für KMU-getriebene Innovationen. Wir beobachten tatsächlich zunehmend, dass KMU sich mit hoher Agilität an neue Themen heranwagen. Je mehr Unternehmen sich als Teil des Circular Economy Ökosystems begreifen, desto größer sind die gemeinsamen Potenziale. Genau hier setzen wir als Berliner Wirtschaftsförderung mit unseren kostenfreien Services an, informieren Unternehmen zu aktuellen Förderausschreibungen (Land, Bund, EU), qualifizieren Drittmittelanträge und vernetzen Akteure für gemeinsame Innovationsprojekte.
Viele denken, dass Nachhaltigkeit immer an einen hohen Preis geknüpft ist. Wie wird die Circular Economy finanziert und ist das Stigma, dass Nachhaltigkeit hohe Kosten mit sich bringt, wirklich wahr?
Wolfgang Korek: Dieses Stigma besteht in der Öffentlichkeit leider nach wie vor, jedoch beruht es auf unvollständigen Annahmen. Selbstverständlich benötigt die Nachhaltigkeitstransformation eine Anschubfinanzierung. Diese wird, derzeit primär von Investoren, aber verstärkt auch von öffentlichen Förderprogrammen, jedoch gerne getätigt. Denn das Konzept der Kreislaufwirtschaft schafft eine Brücke zwischen Umweltschutz und innovativen, zukunftsorientierten und somit für Geldgeber attraktiven Geschäftsmodellen.
Warum die Kreislaufwirtschaft langfristig sogar Geld spart, zeigen die Beispiele Energie und Materialien. Die Energiepreise sind bereits extrem angestiegen und das, obwohl CO2 Stand jetzt noch vergleichsweise gering bepreist ist. Wenn ich als Unternehmen nun z.B. Prozesswärme von mir oder von anderen zurück in den Energiekreislauf führen kann, dann ist das ein Effizienzzugewinn und somit klarer OPEX-Kostenvorteil. Was die Materialien betrifft, sehen wir, dass viele Unternehmen nach wie vor unter Lieferketten-Problemen leiden. Kreislaufbasierte Geschäftsmodelle wie z.B. Product-as-a-Service und die damit einhergehende Rückfuhr von Rohstoffen reduzieren hingegen die Abhängigkeit von Rohstofflieferanten und Preisfluktuationen.
Wer sich durch den reinen Blick auf die Investitionskosten die Sicht auf das zu bergende Innovationspotenzial nimmt, läuft Gefahr, angesichts zunehmender top-down Regulierung langfristig noch viel größere Kosten zu haben und eine große Innovationswelle zu verschlafen.