Das Konzept der Kreislaufwirtschaft (Circular Economy) gilt als Wirtschaftsmodell der Zukunft. Können Sie uns dieses Modell genauer erklären?
Stefan Blachfellner: Die Kreislaufwirtschaft ist ein systemischer Lösungsansatz, mit dem globale Herausforderungen wie Klimawandel, Verlust der biologischen Vielfalt, Abfall und Umweltverschmutzung gemeistert werden können. Digitale Innovation, Klimaschutz, Schaffung von Arbeitsplätzen und Wachstum innerhalb planetarer Grenzen fördern die Standortentwicklung ebenso wie die Erhöhung der Resilienz, und ermöglichen mehr Unabhängigkeit von globalen Lieferketten. Basierend auf drei Denk- und Gestaltungsgrundsätzen, die für Geschäftsmodelle, Prozesse, Materialien und Produkte gelten (Beseitigung von Abfall und Verschmutzung, Kreislaufführung von Produkten und Materialien mit höchstmöglichem Gebrauchswert und Regeneration der natürlichen Umwelt) und unter Einsatz erneuerbarer Energien, entkoppelt sie die Wirtschaftstätigkeit vom Verbrauch endlicher Ressourcen. Regenerative Kreislaufwirtschaft schafft ein widerstandsfähiges System, das gut für Unternehmen, Menschen und die Umwelt ist.
Immer wieder bekommt man zu hören, dass die lineare Wirtschaft ausgedient hat. Wie schätzen Sie das ein?
Stefan Blachfellner: In einem wirtschaftlichen Umfeld, das sich weltweit betreffend Beschäftigung und Wachstum neu orientieren muss, bietet Kreislaufwirtschaft Konzepte für zukunftsfähige innovative Geschäftsmodelle, von Design über Nutzung, Reparatur und Wiederverwendung bis zu Recycling. Angesichts der zunehmenden Knappheit natürlicher Ressourcen und entsprechender nationaler und internationaler Richtlinien und Regulierungen, ist es heutzutage wichtiger denn je, Unternehmen dahingehend zu unterstützen, dass sie mit weniger mehr erreichen können. Regenerative Kreislaufwirtschaft erhöht den Wert der materiellen Ressourcen und senkt gleichzeitig den gesamten Ressourcenverbrauch, die Treibhausgasemissionen, sowie Abfall und Umweltverschmutzung auf ein Minimum. Aus der Unternehmenssicht ist die Kreislaufwirtschaft eine Innovationsherausforderung, die Kosten senken, widerstandsfähigere und unabhängigere Lieferketten und Prozesse gestalten und Wertbeiträge sichern kann.
Das Wirtschaftsmodell Circular Economy wird immer als nachhaltig betitelt. Auf welche Weise fördert die Circular Economy die Ressourcenschonung und wie erhöht sie die Wertschöpfung?
Stefan Blachfellner: Kreislaufwirtschaft ist von ihrer Konzeption her regenerativ, trägt zur Wettbewerbsfähigkeit und Klimaneutralität bei und fördert eine nachhaltige, hochwertige Industrie. Circular Economy, wie heute bereits umgesetzt, ist zumindest ökologisch und ökonomisch nachhaltig. Die soziale Nachhaltigkeit ist noch nicht im Zentrum der Ansätze mitbedacht. Die ökologische Nachhaltigkeit wird durch Neudesign in der Materialwahl hinsichtlich Wiederverwendbarkeit und biologischer Abbaubarkeit, den Einsatz erneuerbarer Energien, die Verlängerung der Lebensdauer von Produkten und deren Teilen, die aus Wegwerfprodukten Erbstücke machen können und sogenannten smarten Produkten und Herstellungsprozessen zwischen Digitalisierung und Modularisierung erzielt. Die ökonomische Nachhaltigkeit (Wertschöpfung) wird in dieser Neugestaltung durch Effizienzsteigerungen erzielt und durch die Neugestaltung der Geschäftsmodelle hinzu „Alles“ als ein Service (AaaS – Anything as a Service). Beide Prinzipien sind nicht nur entlehnt aus der, sondern noch verstärkt durch die Digitalisierung. Was immer mein Gebrauchsgut als Konsument ist, ich kann es mieten, erhalte Upgrades und Reparaturen durch den Hersteller und muss mich nicht um die Entsorgung bzw. Wiederverwertung nach dem Lebensende des Produktes kümmern. Im B2B Bereich erleben wir gerade bei Investitionsgütern einen ähnlichen Trend. All inklusive und Leasingmodellen werden letztendlich auch die Anbieter und Produzenten Gewinne erzielen lassen, Service und Preismodellinnovationen sind dabei natürlich noch Herausforderungen. Modelle gibt es aber schon aus vielen Branchen ohne Kreislaufwirtschaft, wie zum Beispiel der Telekommunikation, Automotive und der Freizeitindustrie.
Die Liste von den Einsatzmöglichkeiten des Modells ist lang. Wie können Unternehmen die Circular Economy im eigenen Unternehmen integrieren?
Stefan Blachfellner: Lineare Wertschöpfungsketten sind ineffizient und anfällig für Störungen und Wertverluste. Der erste Schritt sollte daher eine schonungslose Analyse der gesamten Wertschöpfungskette inklusive aller vor- und nachgelagerter Prozesse sein. Je nach Sektor kann eine um Umwelt-, Ressourcen-, geopolitische und Regulierungskriterien erweiterte Risiko –„Heatmap“ ebenso wie eine Ökobilanz auf Unternehmens- oder Produktebene aufschlussreiche Erkenntnisse bringen, die dann Einfluss auf langfristige strategische Unternehmensziele haben. Diesen Überlegungen müssen auch Trendanalysen und Kenntnisse zu internationalen bzw. europäischen Regulierungen und Zielen zugrunde gelegt werden, um die Geschäftsstrategie mit diesen Zielen in Einklang zu bringen. Danach erst folgen Innovationsprojekte, Forschungsarbeit, Piloten, Produktentwicklungen, etc. die dazu beitragen können.
Know-How, Fördermöglichkeiten und Praxisanwendung unterstützen die Umsetzung von zirkulären Wirtschaften in kleinen und mittelständischen Unternehmen. Welche Chancen bietet das vor allem für KMU und wie können diese von dem Wirtschaftsmodell profitieren?
Stefan Blachfellner: Für Klein- und Mittelständische Unternehmen empfehle ich die Vernetzung mit im besten Fall lokalen Unterstützungsstrukturen, wie Standortagenturen, die diese Aufgaben der strategischen Vorschau übernehmen müssen. Nachfrage erzeugt Angebote, sollte ihre Standortagentur noch nicht an diese Rolle gedacht haben. Operativ ist auch für KMUs die Optimierung ihrer Wertschöpfungskette der beste Einstieg. In der Lösung von einzelnen technischen und sozialen Innovationen sollten auch KMUs wie die großen Unternehmen Kooperationen mit Partnern über ihre Branche und ihren Sektor hinaus suchen. Kreisläufe, von Wertstoffen bis Wertbeiträgen, beginnen und enden nicht an der Unternehmenstüre. Kooperative Innovation stärkt KMUs sogar in noch größerem Maße als Großunternehmen, so können diese etwa durch Zusammenschluss von Plattformlösungen, oder auch bei Materialrückführung stark profitieren. In Product-as-a Service Modellen erweist sich die Minimierung von Ineffizienzen entlang der Wertschöpfungskette auch für KMUs als durchwegs profitabel, ebenso wie gesteigerter Kundennutzen und Kundenbindung durch Servicelösungen statt Produktverkauf. Wenn wir bereit sind, das „Jeder gegen jeden“ Paradigma der Wirtschaft hinter uns zu lassen und zu kooperativer und kollaborativer Wertschöpfung finden, bietet sich großes Potential für europäische KMUs und damit für den gesamten europäischen Wirtschaftsraum.
Viele denken, dass Nachhaltigkeit immer an einen hohen Preis geknüpft ist. Wie wird die Circular Economy finanziert und ist das Stigma, dass Nachhaltigkeit hohe Kosten mit sich bringt, wirklich wahr?
Stefan Blachfellner: Die Frage ist vielleicht zu allgemein gestellt. Als Zuspitzung kann man genauso sagen, Nachhaltigkeit aus unternehmerischer Sicht hat noch nie Kosten ohne Gewinne mit sich gebracht. Eine nach dem Geschäftsmodell ausgerichtete Investition sollte schon den erwarteten ROI erzielen. Das ist also keine ideologische Gesellschaftsdebatte. Die kann man führen, wenn das Geschäftsmodell der Gewinn von Wählerstimmen ist oder Zuwendungen für eine gesellschaftlich notwenige Aufgabe als NGO. Circular Economy finanziert sich ganz klar aus der operativen Geschäftstätigkeit, unterstützt durch Optimierungen und Innovationen der gesamten Wertschöpfung. Und weil die Neugestaltung der Circular Economy nicht nur eine Aufgabe eines Unternehmens ist, sondern tatsächlich die Transformation unseres Wirtschaftssystems betrifft, gibt es vor allem auch für KMUs ausreichend Fördermittel zur Risikominimierung in den ersten notwendigen Innovationsvorhaben aus europäischen und nationalen Mitteln, auch durch die hohen Budgets der europäischen Pandemie Recovery Pläne, die am European Green Deal ausgerichtet sind. Im gemeinsamen Europa investieren wir in der Transformation hin zur Circular Economy in die Zukunft und nicht in die Vergangenheit. Und wenn es dann in einem Business Talk doch noch gesellschaftspolitisch werden darf. Wir müssen darauf achten, dass die gesellschaftlichen Kosten durch Untätigkeit und Nicht-Reaktion auf bereits bestehende Risiken und zu erwartende Umweltthemen ebenso steigen und diese müssen wieder durch Steuerleistungen, auch der Unternehmen, bezahlt werden. „Systemerhaltung“ auch durch staatliche Subventionen nicht nachhaltiger Märkte und Anfälligkeiten und Reparaturen etwa nach Wetterkatastrophen sind die Kosten der Allgemeinheit, die jeder Bürger und jede Bürgerin bereits trägt. Kosten fallen an, Investitionen rechnen sich. Statt nicht mehr adäquate Wirtschafts- und auch Lebensmodelle zu finanzieren, sollten wir in nachhaltige zukunftsfähige Lösungen und Geschäftsmodelle investieren.