Wind, Sonne und andere erneuerbare Energien haben 2020 rund 43% des deutschen Energiebedarfs gedeckt. Müssen wir um die Energiewende fürchten oder sie gar vertagen?
Daniel Hölder: Laut dem BMWi und der AGEE-Stat waren es etwas über 45 %. Allerdings ist das der Anteil der Erneuerbaren an der Bruttostromerzeugung. Der EE-Anteil am Energiebedarf insgesamt („Bruttoendenergieverbrauch“) lag nur bei knapp 20 %. Wir haben also noch einen weiten Weg zu gehen, bis unser Energiesystem vollständig erneuerbar ist. Angesichts der Dringlichkeit, den Klimawandel aufzuhalten, die uns in diesem Sommer wieder schmerzlich vor Augen tritt, müssen wir beherzt handeln. Zum Vertagen und Fürchten haben wir keine Zeit. Wir leben in der Dekade, die darüber entscheiden wird, ob es uns gelingt, den Klimawandel in den Griff zu bekommen.
Berechnungen des Zentrums für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) zeigen, dass die Windenergie flächenübergreifend um rund 20% eingebüßt hat. Liegt es an der Natur, Politik oder fehlender Technik?
Daniel Hölder: Dass die Stromerzeugung aus Wind (und Sonne) von Jahr zu Jahr zum Teil erheblich schwankt, ist normal. Das gleicht sich über einen Zeitraum von ein paar Jahren aus. Der große Unterschied zwischen den ersten Halbjahren 2020 und 2021 macht deutlich, dass wir dafür sorgen müssen, solche Schwankungen in einem zunehmend erneuerbaren Energiesystem auszugleichen. Dafür ist zunächst flächendeckender Ausbau der Windenergie wichtig, da es sehr selten der Fall ist, dass es in ganz Deutschland windstill ist. Es ist daher sehr wichtig, dass wir mit dem Ausbau der Windenergie in Süddeutschland endlich schneller vorankommen. Zweitens sollten Windkraft und PV parallel ausgebaut werden, weil sich die beiden gut ergänzen und ausgleichen. Und schließlich benötigen wir genügend Kapazitäten für den grenzübergreifenden Stromaustausch, damit wir den regionalen Ausgleich europaweit nutzen können.
Die Politik hat die höheren Klimaziele beschlossen, aber können sie überhaupt erreicht werden, angesichts rückläufiger Ausbauzahlen beim Wind?
Daniel Hölder: Es ist sehr erfreulich, dass die Politik anspruchsvollere Klimaziele beschlossen hat, auch wenn diese noch nicht ausreichen, um unsere Verpflichtungen aus dem Paris-Abkommen zu erfüllen. Ich finde es übrigens unverständlich, dass es dafür den Druck des Bundesverfassungsgerichts braucht. Schließlich kann, wie bereits erwähnt, niemand mehr die Dringlichkeit des Klimaschutzes übersehen. Nun kommt es aber darauf an, die neuen Ziele in wirkungsvolle Maßnahmen zu übersetzten. Das muss die vordringliche Aufgabe in der kommenden Legislaturperiode sein. Die neue Regierung und der neue Bundestag müssen dafür bereits in den ersten 100 Tagen die Weichen stellen. Jedes Jahr, das wir verlieren, macht die Zielerreichung am langen Ende aufwändiger und teurer. Den Ausbau der Windenergie wieder anzukurbeln, muss sicherlich ein Fokus dieser Maßnahmen sein.
Was muss bei der Stromerzeugung geschehen, um das höhere CO2-Einsparziel zu erreichen?
Daniel Hölder: Der wichtigste Baustein der CO2-Einsparung sind die erneuerbaren Energien. Wir müssen den Zubau an Solaranlagen schnell auf mindestens 10 GW im Jahr und bei Windenergie auf mindestens 5 GW im Jahr steigern. Der wichtigste Hebel dafür ist die Flächenbereitstellung. Dabei geht es um große Themen wie die Aussöhnung von Artenschutz und Klimaschutz, aber auch um ganz viele Details im Planungsrecht und anderen Rechtsgebieten. Außerdem benötigen wir endlich einen nachhaltigen und einfachen Rechtsrahmen für das Prosuming, um das Potential der Dachflächen auf Wohn-, Gewerbe- und Industrieimmobilien nutzen zu können. Es ist viel besser, das mit den Gebäudenutzern zu tun, als ihnen eine Solarpflicht aufzuerlegen.
Was sind die Trends bei erneuerbaren Energien? Wohin geht die Zukunft?
Daniel Hölder: Dass sich Unternehmen derzeit massiv den Erneuerbaren Energien zuwenden, ist der wichtigste Trend, den ich im Moment sehe. Wir spüren das beispielsweise an der Nachfrage nach PPAs. Und dabei spreche ich nicht nur von Deutschland oder Europa. Das ist ein weltweiter Trend. Und es sind übrigens nicht nur die Tech-Unternehmen, von denen man sagen könnte, dass die es sich ja von ihren üppigen Gewinnen leicht leisten können. Es sind in zunehmendem Maße auch energieintensive Industrieunternehmen. Mein Eindruck ist, dass die Unternehmen hier inzwischen deutlich weiter sind als die Politik, die trotz vollmundiger Ziele teilweise noch sehr bremst. Je mehr Unternehmen und Unternehmer erkennen, dass nur klimaverträgliche Geschäftsmodelle nachhaltig sind, desto mehr wird sich der Wandel beschleunigen, weil Investments in die „alte“ Welt zu riskant werden. Um also auf Ihre Eingangsfrage zurückzukommen: Auch wenn ich mich oft über die Zögerlichkeit der Politik ärgere, mir ist es um die Energiewende nicht bange. Im Gegenteil.