Warum die „plötzliche“ Erweiterung des §130 StGB?

Interview mit Ehssan Khazaeli
Volksverhetzung sollte zu Recht unter Strafe gestellt werden. Doch scheinbar war die bisherige Regelung im Strafgesetzbuch (StGB) nicht hinreichend formuliert. Denn kürzlich erfolgte, wenn auch ganz unauffällig und erstaunlich kurzfristig, eine Änderung bzw. Ergänzung des Paragrafen 130 StGB um den Absatz 5. Ehssan Khazaeli, erfahrener und fachkundiger Strafverteidiger sowie Inhaber der Kanzlei EKH LEGAL in Berlin, klärt uns über die genaueren Hintergründe dieser Gesetzesänderung auf. 

Die bisherige Regelung der Volksverhetzung hat unter Strafe gestellt, wenn jemand eine bestimmte Handlung bzw. ein Kriegsverbrechen leugnet, billigt oder verharmlost. Mit dem neu geschaffenen § 130 Abs. 5 StGB hat sich nun etwas geändert. Wie hat sich das Gesetz mit dem neuen Absatz geändert? 

Es handelt sich um eine Erweiterung bzw. Verschärfung des bisherigen § 130 des Strafgesetzbuchs (StGB), der das öffentliche Leugnen und gröbliche Verharmlosen von Kriegsverbrechen unter Strafe stellt. Obwohl die genannte Handlung, wenn sie sich nicht auf Verbrechen aus der Zeit des Nationalsozialismus

beziehen, in der Regel unter den § 130 Abs. 1 StGB fallen dürfte, soll dies explizit erwähnt und auch bestraft werden.

Bereits im Dezember 2021 hat die Europäische Kommission ein sog. „Vertragsverletzungsverfahren“ gegen Deutschland eingeleitet. Was genau war der Hintergrund für die Gesetzesänderung bei der Volksverhetzung? 

Hintergrund dieser recht zügigen Gesetzesänderung ist wohl allein das

Vertragsverletzungsverfahren der EU, in dem gerügt wurde, dass Deutschland den Rahmenbeschluss 2008/913/JI zur Bekämpfung

bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ungenügend umgesetzt hat. Die aktuelle Verschärfung und Präzisierung der in Rede stehenden Norm soll dieser Umsetzung Genüge tun.

Wieso schärfte die Ampel-Koalition den Volksverhetzungsparagrafen gerade jetzt? 

Das kann nur vermutet werden: Es kann aber tatsächlich mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine zu tun haben. Auf die Gerichte rollen in Zukunft einige Verfahren zu, die im Zusammenhang mit diesem Konflikt stehen. 

Nach Angaben der Koalitionsfraktionen geht es um die Beendigung des Vertragsverletzungsverfahrens und damit einhergehend um Klarstellung und Rechtssicherheit.

Bei den zu billigenden, verleugnenden oder verharmlosenden Handlungen muss es sich für eine strafrechtliche Verfolgung um solche handeln, welche in den Paragrafen 6 bis 12 des Völkerstrafgesetzbuches unter Strafe stehen. Können Sie uns erklären, welche das im Einzelnen sind? 

Zu nennen sind hierbei Völkermord (§ 6 VStGB), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB) und Kriegsverbrechen (§§ 8-12 VStGB). Im Wesentlichen geht es dabei um Verbrechen, die sich gegen die Zivilbevölkerung im Rahmen eines Krieges richten. 

Erfasst sind außerdem historische Verbrechen, die vor dem Inkrafttreten des VStGB (2002) begangen worden sind. Die meisten Verbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch werden unter lebenslange Freiheitsstrafe gestellt.

Wann werden Kriegsverbrechen eigentlich gebilligt, verleugnet oder verharmlost? 

Ein Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen werden dann gebilligt, wenn sie ausdrücklich und nach

außen hin gutgeheißen werden.  Ob das der Fall ist, ist immer eine Auslegungsfrage und ist von dem zuständigen Tatrichter zu beurteilen. Unter dem Leugnen versteht man hingegen das Bestreiten oder gar Verneinen der Historie des, nach dem VStGB, begangenen Verbrechens.

Der Unterschied zu dem § 130 Abs. 3 StGB besteht darin, dass hierbei keine bloßes Verharmlosen, sondern ein gröbliches Verharmlosen gefordert wird, um den Straftatbestand des neuen Absatzes zu erfüllen.

Zu erwähnen sei hier noch, dass die Gesetzesänderung und dessen Inkrafttreten auch Auswirkungen auf die Sperrpraxis von Nachrichtendiensten wie Twitter und Facebook zum Sperren von Inhalten hat. Denn durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) sind die

Online-Plattformen dazu verpflichtet, Inhalte zu sperren oder zu löschen, die gegen das Gesetz verstoßen. Fraglich ist jedoch, ob dies in Anbetracht der strengen Richtlinien der Anbieter selbst überhaupt nötig sein wird.  

Welche Strafe droht jemandem, der eine Strafanzeige wegen Volksverhetzung erhält? 

Nach dem Tag der Gesetzesverkündung kann mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe bestraft werden. Bei Ersttätern oder unklarer Rechtslage wird man sicherlich die Verfahren gegen Auflagen einstellen oder gänzlich von der Verfolgung absehen. Bei uneinsichtigen Angeklagten und durchschnittlichen Fällen werden wohl Geldstrafen von rund 40 Tagessätzen in Betracht kommen. Für Normalverdiener können das rund 1.500 Euro sein. Bei krasseren Fällen kann es auch eine höhere Geldstrafe sein. Ab 90 Tagessätze gilt der Betroffene in der Regel als vorbestraft.

Herr Khazaeli, vielen Dank für das Interview.

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