Negative Berichte und Kommentare im Internet sind ein häufiges Ärgernis für Unternehmen. Welche Möglichkeiten gibt es, eine Löschung oder Richtigstellung zu erreichen?
René Kühnel: Im Wesentlichen lässt sich dies dadurch erreichen, dass man bzgl. der Veröffentlichung einen entsprechenden Unterlassungsanspruch zunächst außergerichtlich und sodann nötigenfalls gerichtlich – ggf. auch vorab im Eilverfahren – gegen den Verfasser oder den Plattformbetreiber durchsetzt.
In Bezug auf den Verfasser scheitert dies meistens daran, dass dessen Identität unbekannt ist und in der Regel auch – selbst nach etwaigen Auskunftsersuchen gegenüber dem Plattformbetreiber – bleibt. Allenfalls kann man den vermutlichen Verfasser gewissermaßen „auf gut Glück“ außergerichtlich anschreiben, wenn man bzgl. dessen Identität einen begründeten Verdacht hat – z.B. aufgrund der Nennung von Interna, die nur einem begrenzten Personenkreis bekannt gewesen sein können.
Aufgrund der vorbezeichneten Schwierigkeiten ist es normalerweise aber erfolgversprechender, sich an den Plattformbetreiber zu wenden, da dieser meist wesentlich besser greifbar ist. Der Plattformbetreiber wiederum haftet im Regelfall erst dann, wenn er nachweislich Kenntnis von der Existenz und der Rechtswidrigkeit des betreffenden Eintrags hatte (vgl. § 10 TMG) Diese ist allerdings jedenfalls nach einem ersten diesbezüglichen Anschreiben durch das betroffene Unternehmen, in dem die Gründe für die Rechtswidrigkeit des Eintrags hinreichend dargelegt werden, gegeben.
In beiden Fällen ist natürlich vorab zu prüfen, ob überhaupt ein entsprechender Unterlassungsanspruch vorliegt. Solange es sich nicht um unzulässige Schmähkritik handelt oder dem Bericht oder Kommentar falsche Tatsachen zugrunde gelegt werden, sind negative und ggf. auch durchaus „überspitzt“ formulierte Aussagen und Bewertungen grundsätzlich hinzunehmen. Erst wenn eine der vorgenannten Grenzen überschritten wird, besteht bzgl. eines Vorgehens Aussicht auf Erfolg.
Eine Ausnahme davon besteht für Bewertungen, deren Authentizität insgesamt mit guten Gründen infrage gestellt werden kann, bei denen es sich also um „Fantasiebewertungen“ von Personen handelt, die mit dem betroffenen Unternehmen an sich gar keinen Kontakt hatten. Kann gegenüber dem Plattformbetreiber glaubhaft gemacht werden, dass ein solcher Fall vorliegt, lässt sich auf dieser Grundlage ebenfalls meist eine Löschung des betreffenden Eintrags erreichen.
Häufig haben die Betreiber der Webseiten ihren Sitz im Ausland. Ist die Durchsetzung einer Löschung dennoch möglich?
René Kühnel: Grundsätzlich kann man auch dann gegen einen Betreiber vorgehen, wenn dieser im Ausland sitzt. Tritt die der Streitigkeit zugrundeliegende Rechtsverletzung in Deutschland ein, z.B. weil das betroffene Unternehmen in Deutschland seinen Firmensitz hat und sich die Veröffentlichung an Leser in Deutschland richtet, so gilt deutsches Recht und deutsche Gerichte sind zuständig (Art. 40 EGBGB).
Innerhalb der EU erfolgen die notwendigen Zustellungen auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen. Die Zustellungen im EU-Ausland können oft auf der Grundlage des Haager Übereinkommens über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland erfolgen. Das Erreichen eines Urteils gegen einen ausländischen Betreiber vor einem deutschen Gericht ist damit grundsätzlich möglich. Allerdings wird ein deutsches Urteil nicht zwingend von dem Staat anerkannt, in dem der Betreiber seinen Sitz hat. Dies ist abhängig von den diesbezüglich bestehenden Staatsverträgen.
Gibt es Unterschiede bei der Durchsetzbarkeit deutscher Urteile im EU-Ausland und Nicht-EU-Ausland?
René Kühnel: Grundsätzlich werden zugestellte Urteile im EU-Ausland wie auch im Nicht-EU-Ausland soweit mir bekannt von den meisten Betreibern beachtet. Es kann jedoch vorkommen, dass der Plattformbetreiber das Urteil schlicht ignoriert, wenn im vorliegenden Fall kein Staatsvertrag zur Anerkennung deutscher Urteile besteht. Ebenfalls kann die Vollstreckung des Urteils im Ausland – selbst bei grundsätzlicher Anerkennung desselben – ggf. Probleme aufwerfen.
Innerhalb der EU stellen sich diese Probleme aufgrund der innergemeinschaftlichen Regelungen nicht. Gleichwohl ist die Vollstreckung eines Urteils auch hier natürlich prinzipiell komplizierter als in Fällen, die sich vollständig innerhalb Deutschlands abspielen.
Der BGH hat im Jahr 2014 das „Recht auf Vergessen“ bestätigt. Was ist damit gemeint?
René Kühnel: Das Recht auf Vergessen – eigentlich das Recht auf Vergessenwerden – soll sicherstellen, dass digital verfügbare Informationen zu einer Person nicht dauerhaft zur Verfügung stehen. Es gestaltet sich prinzipiell als ein Recht auf Löschung aller personenbezogenen Daten, wenn sich die Zwecke, für die die Daten erhoben wurden, erübrigt haben, wenn die betroffenen Personen ihre Einwilligung in die Verarbeitung widerrufen oder Widerspruch gegen die Verarbeitung eingelegt haben oder wenn die konkrete Verwendung der Daten aus anderen Gründen – beispielsweise aufgrund einer Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte – rechtswidrig ist.
Besondere Bedeutung hat das Recht freilich nicht so sehr für „im Hintergrund“ gespeicherte Daten – auch wenn es für diese ebenfalls gilt – sondern für erfolgte Berichterstattung in den Medien, deren dauerhafte Verfügbarkeit man aufgrund dieses Rechts nicht hinnehmen muss.
Ob und wann man eine Löschung verlangen kann, bleibt indes jeweils einer Einzelfallbetrachtung vorbehalten, in der die Intensität des Eingriffs in die Rechte des Betroffenen und ggf. bestehende gegenläufige Interessen des Anspruchsgegners und der Allgemeinheit miteinander abgewogen werden. Hier ist insbesondere ein ggf. fortbestehendes Informationsinteresse der Allgemeinheit von Bedeutung und es bestehen entsprechend höhere Hürden für Personen des öffentlichen Lebens.
Seit einem BGH-Urteil im Jahr 2018 (BGH, Urteil v. 27.2.2018, Az. VI ZR 489/16) haben Suchmaschinenbetreiber mit Verweis auf fehlende „Kenntnis von einer `offensichtlichen´, auf den ersten Blick klar erkennbaren Rechtsverletzung“ die Löschung i.d.R. abgelehnt. Wie haben die LG und OLGs auf dieses Urteil reagiert?
René Kühnel: In dem angeführten Urteil ging es um das soeben angesprochene Recht auf Vergessenwerden. Die Kläger wollten erreichen, dass die Suchmaschine „Google“ sie betreffende Einträge auf Drittseiten aus den Suchergebnissen entfernt und überdies einen Filter einrichtet, der die Anzeige vergleichbarer Ergebnisse dauerhaft verhindert. Der BGH hat hier die vorausgehende Entscheidung des OLG Köln bestätigt, dass ein Unterlassungsanspruch der Kläger jedenfalls an der nicht ordnungsgemäßen Inkenntnissetzung der Beklagten scheiterte, hat also im Wesentlichen auf die Wertung des oben bereits einmal angesprochenen „Providerprivilegs“ (§ 10 TMG) abgestellt. Bzgl. der Einrichtung eines „Filters“ fehle es bereits an einer Anspruchsgrundlage.
Soweit mir bekannt sind die Landgerichte und Oberlandesgerichte – soweit sie dies nicht ohnehin schon vertreten hatten – dieser Auffassung gefolgt, die mit Rücksicht auf die gesetzlichen Regelungen m.E. ohnehin als naheliegend anzusehen war. Scheinbare Abweichungen von dieser Linie können sich natürlich ergeben, wenn es im Einzelfall gerade streitig ist, ob der Verletzte dem Betreiber gegenüber seine Rechtsverletzung hinreichend dargelegt hat. Wenn der Betreiber nach einer Aufforderung zur Löschung nicht tätig geworden ist, kann es in diesem Kontext durchaus zu dessen Haftung kommen, wenn ein Gericht zum Ergebnis kommt, dass die vorausgehende „Inkenntnissetzung“ des Betreibers ausreichend war.
Mit der Entscheidung vom 27. Juli 2020 (VI ZR 405/18 und VI ZR 476/18) hat der BGH seine Rechtsprechung geändert. Wie beurteilen Sie die neue Rechtslage?
René Kühnel: Aktuell ist eine Beurteilung der neuen Rechtslage noch nicht hundertprozentig möglich, da der Volltext der genannten Entscheidungen bislang noch nicht vorliegt (Stand: 20.08.2020).
Spannend ist insoweit, inwieweit die Regelungen der DSGVO – die zum Zeitpunkt der o.g. BGH-Entscheidung aus 2018 noch nicht galt – eine Änderung der Rechtspositionen der Beteiligten bewirken, nachdem das „Recht auf Vergessenwerden“ mittlerweile in Art. 17 DSGVO kodifiziert worden ist. Geblieben ist aus offensichtlichen Gründen die o.g. Interessenabwägung zwischen dem Interesse an der Löschung einerseits und dem gegenläufigen Interesse am Erhalt der Informationen andererseits.
Neu an der Rechtsprechung des BGH und insoweit abweichend von dessen o.g. Entscheidung aus 2018 ist nun, dass der Verantwortliche einer Suchmaschine nach der neuerlichen Entscheidung nunmehr nicht erst dann tätig werden muss, wenn er von einer offensichtlichen und auf den ersten Blick klar erkennbaren Rechtsverletzung des Betroffenen Kenntnis erlangt, sondern Handlungspflichten offenbar ggf. auch schon früher entstehen können. Wie genau dies zu verstehen ist, ist aktuell aber noch nicht ersichtlich. Hier wird wohl frühestens die Veröffentlichung des Volltextes der Entscheidungen Klarheit bringen können.