Unterhaltspflicht: Jeder Fall ist anders

Interview mit Selena Sarac
Das Thema Unterhalt galt schon immer als sehr sensibel und hat schon so manchen Rosenkrieg zwischen getrennten oder geschiedenen Partnern entfacht. Letztendlich geht es hierbei jedoch um die Erhaltung der Verpflichtungen gegenüber dem gemeinsamen Kind. Für diese Einhaltung gibt es bestimmte vom Gesetzgeber festgelegte Regeln, die jedoch, den jeweiligen Einzelfall betrachtend, einen gewissen Spielraum lassen. Um gewisse Grundsatzfragen und mögliche Unterhaltsansprüche zu klären, haben wir uns Selena Sarac, Fachanwältin für Familienrecht und Partnerin in der Kanzlei von Carnap Rudolph Trischler Sarac in Frankfurt am Main, zu Rate gezogen und ihre Expertise lautet wie folgt.

Betreut der Ex-Partner oder die Ex-Partnerin nach der Trennung das gemeinsame Kind, steht der nicht betreuende Elternteil in der Verpflichtung, dem Kind Kindesunterhalt zu zahlen. Wie muss der betreuende Elternteil seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind erfüllen?

Derjenige Elternteil, der das Kind überwiegend betreut, erfüllt seine Pflicht durch Pflege und Erziehung des Kindes, die er oder sie grundsätzlich in eigener Person wahrzunehmen hat. Dies stellt den so genannten Naturalunterhalt dar. Wenn dieser Elternteil die Betreuung beispielsweise den Großeltern oder dritten Personen überträgt, sollte daher ein nennenswerter Rest der Eigenbetreuung immer verbleiben, um den Unterhalt für das Kind einfordern zu können. Problemfälle können also z.B. dort auftreten, wo das Kind letztendlich bei den Großeltern oder aber auch im Internat oder einem anderweitigen dritten Ort lebt.  

Das Elternteil, das nicht die betreuende Funktion einnimmt, ist barunterhaltspflichtig. Wie genau wird die Höhe des Unterhalts berechnet?

Kurz gefasst wird zunächst die Höhe des Einkommens des Unterhaltspflichtigen bestimmt. Aus diesem ergibt sich der Bedarf des Kindes nach der Düsseldorfer Tabelle, in Abhängigkeit davon, in welcher Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle der Unterhaltspflichtige einzugruppieren ist. Nach Abzug des hälftigen Kindergeldes gelangt man (im Normalfall) relativ zügig zu der Unterhaltshöhe. Die Probleme ergeben sich innerhalb dieser Schritte.

Um zum Bedarf zu gelangen und somit die Unterhaltshöhe berechnen zu können, ist also vorab zunächst eine Auskunft des barunterhaltspflichtigen Elternteils über die Einkommens- und (im Einzelfall) Vermögensverhältnisse einzuholen, denn die Höhe des Unterhaltsanspruchs leitet sich von der Lebensstellung des Barunterhaltspflichtigen ab. Zumindest dann, sobald davon ausgegangen werden kann, dass dieser allein barunterhaltspflichtig ist. 

Folge der Auskunft ist somit zunächst die Berechnung des unterhaltsrelevanten monatlichen Einkommens des Barunterhaltspflichtigen und der Abzug von Verbindlichkeiten. Welche Abzüge der Unterhaltsverpflichtete innerhalb dieser Berechnung geltend machen kann, bestimmt sich nach dem Einzelfall, jedoch sind das meistens etwaige Krankversicherungsbeiträge, Steuernachzahlungen, langjährige Darlehensverbindlichkeiten (die auf Ihre Angemessenheit hin zu überprüfen sind – also Zeitpunkt der Aufnahme, Notwendigkeit und Dauer) oder Altersvorsorge (bis zu einer gesetzlich geregelten Grenze und in Abhängigkeit davon, ob man sich in dem unteren oder oberen Bereich der Düsseldorfer Tabelle befindet). Klar ist, dass der Aufbau einer Altersvorsorge nicht zu einem Wegfall des Unterhaltes führen darf. Ebenfalls sollte klar sein, dass die Aufnahme einer Verbindlichkeit in Kenntnis der Unterhaltspflicht unberücksichtigt bleiben muss. Wichtig ist, dass im Einzelfall ein jeder Abzugsposten auf seine Abzugsfähigkeit überprüft wird. Dies empfiehlt sich sowohl für den Verpflichteten als auch für den Berechtigten. Auf diese Weise gelangt man zu dem letztendlich unterhaltsrelevanten Einkommen und zu der Eingruppierung. In besonderen Ausnahmefällen kann es auch zu einer Unterhaltsberechnung fernab der Düsseldorfer Tabelle kommen, wenn der Bedarf des Kindes konkret berechnet wird.  Nach der grundlegenden Erweiterung der Düsseldorfer Tabelle seit dem Jahr 2022 (nach dem BGH-Urteil vom 16.09.2020 – XII ZB 499/19) empfiehlt es sich allerdings, erst ab einem bereinigten Nettoeinkommen (also Nettoeinkommen nach Abzug der Verbindlichkeiten) in Höhe von ca. € 13.000,00 aus meiner Sicht, überhaupt darüber nachzudenken und in die Diskussion einzusteigen. Der Weg über die Düsseldorfer Tabelle ist wesentlich einfacher.

Ein höheres Einkommen des betreuenden Elternteils wirkt sich normalerweise nicht auf die Barunterhaltspflicht des anderen Elternteils aus. Können Sie uns die Ausnahmen nennen, die die Rechtsprechung macht?

Eine erste nun häufige Ausnahme findet sich in den Konstellationen, in denen das Kind im Wechselmodell betreut wird, die Kindeseltern also annähernd gleiche Betreuungsanteile übernehmen. In diesen Fällen leitet sich der Bedarf des Kindes von den Einkommensverhältnissen beider Eltern ab, somit von der beidseitigen Lebensstellung. Dies führt im Ergebnis rechnerisch manchmal zum Wegfall einer Barunterhaltspflicht, was aber keineswegs zwingend ist. Auch im Wechselmodell kann sich die einseitige Barunterhaltspflicht nur eines Elternteils ergeben. Die Idee, wonach ein Wechselmodell zu einem Wegfall der Barunterhaltspflicht führt, ist lange überholt. Eine zweite ebenfalls nicht zu unterschätzende Ausnahme findet sich in den Konstellationen, in denen zwischen den Eltern ein wirtschaftliches Ungleichgewicht herrscht oder aber der Selbstbehalt des nicht betreuenden Elternteils durch den Barbedarf des Kindes gefährdet wäre, während der betreuende Elternteil zur Unterhaltszahlung in der Lage wäre, ohne seinen angemessenen Selbstbehalt zu gefährden. In diesen Fällen kann es entweder zur Kürzung oder zum vollständigen Wegfall der Barunterhaltspflicht des nicht betreuenden Elternteils kommen.

Im Ausnahmefall kann sich die Barunterhaltspflicht also ganz oder teilweise auf den betreuenden Elternteil verlagern. Wann geht der Bundesgerichtshof von einem finanziellen Ungleichgewicht zwischen den Elternteilen aus?

Der BGH legt sich dort, wie so häufig, nicht auf einen einzigen Lösungsweg oder eine Lösungsformel fest. Er spricht jedoch in seiner Rechtsprechung von einem in etwa dreifach höherem verfügbaren Einkommen, der das wirtschaftliche Ungleichgewicht begründen kann. Auch dort muss jedoch der Einzelfall beachtet werden, denn auch bei geringem oder auch keinem Einkommen können zugleich gute oder sehr gute Vermögensverhältnisse gegeben sein. Wenn dem so ist, kann dieser Elternteil selbstverständlich nicht so einfach aus der Unterhaltspflicht entlassen werden. Ganz unabhängig davon, ob auch der andere gute oder auch sehr gute Vermögenverhältnisse aufweisen kann. Der Grundsatz, dass beide Eltern in Abhängigkeit davon, wo das Kind lebt, durch Naturalunterhalt oder aber Barunterhalt dem Kind gegenüber verpflichtet bleiben, wird also in einer jeden Situation zu überprüfen sein.

Was muss beachtet werden, wenn man das nicht betreuende Elternteil dazu auffordern möchte, sich am Kindesunterhalt zu beteiligen?

Der andere Elternteil ist zunächst in Verzug zu setzen, also aufzufordern, über Einkommens- und (im Einzelfall) Vermögensverhältnisse Auskunft zu erteilen. Es ist daneben zu berücksichtigen, ob neben den Bedarfsbeträgen der Düsseldorfer Tabelle etwaige Krankenversicherungskosten zu berücksichtigen sind, die monatlich anfallen oder auch ein Mehr- oder Sonderbedarf. Auch bezüglich dieser anfallenden Kosten ist der Barunterhaltspflichtige in Verzug zu setzen. Dabei kann es sich beispielsweise um hohe einmalige Kosten für das Kind handeln (Sonderbedarf) oder auch monatlich anfallende Kosten, wie beispielsweise die Kinderbetreuung oder auch ein sehr kostenintensives Hobby (Mehrbedarf). Wenn nach einer Trennung somit mehrere Monate ohne die klare Aufforderung zur Zahlung des Unterhaltes verstreichen würden, wären dies für den Unterhalt verlorene Monate, da der Unterhalt nicht für die Vergangenheit verlangt werden könnte. Eine Ausnahme stellt der Sonderbedarf dar, der auch nachträglich geltend gemacht werden kann, § 1613 Abs.2 Nr.1 BGB. 

Schließlich sollte darauf geachtet werden, ob eine der oben geschilderten Ausnahmen vorliegen könnte und was die Konsequenz daraus sein könnte, bevor man sich in den Streit einlässt. Das Familienrecht und darin auch das Unterhaltsrecht sind von einer Vielzahl an taktischen Erwägungen und Abwägungen geprägt, die nicht zu unterschätzen sind.

Frau Sarac, vielen Dank für das Interview.

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