Michael Kuhagen: „Wer nicht kämpft hat schon verloren.“

Interview mit Michael Kuhagen
Wir sprechen mit Michael Kuhagen, Fachanwalt für Verkehrsrecht und für Strafrecht der Rechtsanwaltskanzlei Michael Kuhagen, über Wissenswertes zum Verkehrsrecht.

Das Verkehrsrecht als Teil des Verkehrswesens umfasst die Bereiche „öffentliches Recht“ und „Privatrecht“. Als Anwalt für Verkehrsrecht beschäftigt man sich aber vor allem mit „Verkehrssündern“, oder ist das ein Vorurteil?

Michael Kuhagen: Der Anwalt für Verkehrsrecht befasst sich tatsächlich verhältnismäßig viel mit Verkehrssündern. Dies sind einmal Personen, denen eine Ordnungswidrigkeit, etwa eine Geschwindigkeitsüberschreitung oder ein Rotlichtverstoß, nach einem „Blitzer“ vorgeworfen werden. Daneben gehören in den Bereich Ordnungswidrigkeiten auch Personen, die im Rahmen einer Polizeikontrolle z.B. mit mindestens 0,5 Promille (aber mit weniger als 1,1 Promille) Blutalkohol oder auch mit einem Handy in der Hand am Steuer angetroffen werden.

Neben den genannten Bereichen gibt es auch das Verkehrsstrafrecht. Hier sind u.a. Delikte wie Fahrerflucht, illegale Autorennen oder Trunkenheitsfahrten anzusiedeln, die im Falle einer Verurteilung neben einer Geldstrafe regelmäßig mit der Entziehung der Fahrerlaubnis sanktioniert werden. Im Falle einer Verurteilung muss man neben der Entziehung regelmäßig mit einer Sperrfrist von einem Jahr für die Neuerteilung rechnen.

Der Bußgeldkatalog wurde im April dieses Jahres erst verschärft, dann aber wieder entschärft. Gab es plötzlich zu viele Vergehen und zu viel bürokratischen Aufwand, oder was war der Grund?

Michael Kuhagen: Es ist derzeit schlicht wieder der alte bis 27.04.2020 geltende Bußgeldkatalog anwendbar. Trotz aller politischen Diskussionen über eine drohende deutliche Erhöhung der Anzahl der Fahrverbote, spielte dieser politische Streit selbst bei der ausgesetzten Anwendbarkeit der schon erlassenen verschärften Verordnung keine Rolle. Die Neuregelung war vielmehr wegen eines formell unwirksamen Zustandekommens der Verordnung unwirksam. Es wurde das sogenannte Zitiergebot verletzt, das besagt, dass im Rahmen des Erlasses der Verordnung die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage benannt werden muss.

Ist es erlaubt, dass ich als Unfallverursacher dem Unfallgegner einen Zettel an die Scheibe hänge, wenn dieser nicht auffindbar ist?

Michael Kuhagen: Ich darf den Unfallort auch nach Anbringen eines Zettels an der Scheibe des Geschädigten nicht einfach verlassen, sondern würde mich in diesem Fall wegen einer Verkehrsunfallflucht gemäß § 142 StGB strafbar machen. Dies könnte mit einer Geldstrafe geahndet werden, die für Ersttäter üblicher Weise bei einem Nettomonatsgehalt (entspricht 30 Tagessätzen) liegt. Bei Schäden am Fremdfahrzeug oberhalb von € 1.500,00 droht daneben die Entziehung der Fahrerlaubnis mit einer Sperrfrist von ca. einem Jahr für die Neuerteilung derselben. Um dies zu vermeiden, muss man in einer solchen Situation zunächst ca. 30 Minuten am Unfallort verweilen und warten, ob ein sogenannter „Feststellungsberechtigter“ erscheint. Erst dann könnte man auf direktem Weg die nächste Polizeidienststelle aufsuchen, um den Vorfall dort anhängig zu machen. Noch sicherer und auch einfacher wäre das telefonische Hinzuziehen der Polizei. Dies könnte man auch schon vor Ablauf der 30 Minuten in Angriff nehmen. Die Polizei wird in der Regel zum Unfallort kommen, oder je nach Einsatzlage den Betroffenen auffordern, zur nächsten Polizeidienststelle zu kommen.

Kann ich die Aufnahmen meiner „Dash-Cam“ (Cockpit-Kamera) als Beweis anführen, wenn es z.B. um die Schuldfrage bei einem Unfall geht?

Michael Kuhagen: Die Verwertung ist/war zwar umstritten, wird aber von den meisten Gerichten zwischenzeitlich zugelassen. Wichtig ist, dass die Aufnahme keine Tonaufzeichnung beinhalten sollte, also nicht die Gespräche mit dem Unfallgegner einschließen darf, wenn dieser darüber nicht vorher unterrichtet wurde und seine Zustimmung erteilt hat. Ansonsten liegt eine Verletzung der Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes vor, die einen eigenen Straftatbestand begründet. Hier hat sich schon der ein oder andere wegen vermeintlich hilfreicher Äußerungen seines Unfallgegners in einer guten Beweissituation gesehen, sich am Ende einem Strafverfahren ausgesetzt gesehen. Die Tonaufnahme einer solchen Dashcam-Aufzeichnung darf zumindest vor Gericht nicht verwertet werden. Der Richter müsste/muss also so tun, als hätte er nicht gehört, was er aber tatsächlich doch gehört hat. Wie dies im Einzelfall ausgeht, ist nicht sicher vorherzusagen.

Wenn ich keine Rechtsschutz-Versicherung habe, muss ich dann einen Anwalt bezahlen, auch wenn ich Geschädigter bin, oder zahlt das die gegnerische Versicherung?

Michael Kuhagen: Man sollte (auch) bei jedem unverschuldeten Unfall einen Anwalt hinzuziehen. Soweit die Gegenseite den Unfall verschuldet hat, muss die gegnerische Versicherung die Anwaltskosten vollständig übernehmen. Auch bei vermeintlich eindeutiger Sachlage gibt es genügend Streitpotential. Versicherungen nehmen sehr häufig, nach meiner Einschätzung in ca. 80% der Fälle, Kürzungen vor, die zumindest teilweise unzulässig sind. Ein beauftragter Anwalt, der auf das Verkehrsrecht spezialisiert ist, lenkt die Abwicklung von Anfang an in die richtige Bahn und nimmt einem Geschädigten auch die sonst anfallende Arbeit mit dem Ausfüllen von seitenlangen Fragebögen der Versicherung des Unfallverursachers ab, bei der im Übrigen auch später schwer zu korrigierende Fehler gemacht werden können. Auch wird ein versierter Anwalt dafür Sorge tragen, dass nicht ein Gutachter des Versicherers den Schadenumfang im Sinne der Versicherung kalkuliert, sondern ein vom Geschädigten oder dessen Anwalt ausgewählter freier Gutachter dies auf Kosten der Versicherung veranlasst. Die sich ergebenden Unterschiede betragen zwischen freiem Gutachter und Gutachter der Versicherung schnell 25% der Schadensumme.

Lohnt es sich, ein „Blitzerfoto“ anzuzweifeln und gegen den Bescheid von der Bußgeldstelle vorzugehen?

Michael Kuhagen: In Zeiten, in denen acht Punkte bereits den Verlust des Führerscheins bedeuten, ist es sinnvoll vom ersten Punkt an, die Vorwürfe prüfen zu lassen. Es ist zwar sicherlich nicht so, dass jede zweite Messung falsch ist. Wer aber die Überprüfung unterlässt, kann den Punkt von Anfang an schon auf seinem Konto in Flensburg verbuchen. Anders formuliert: Wer nicht kämpft hat schon verloren. Ein versierter Verkehrsrechtsanwalt wird die Ermittlungsakte auf mögliche offensichtliche Fehler, z.B. bei der Einrichtung der mobilen Messstelle durch Prüfung des Messprotokolls ebenso prüfen, wie das Vorliegen einer gültigen Eichung des Messgerätes oder einer erforderlichen Schulung des Messbeamten für das konkret zum Einsatz gekommene Messgerät. Für die Überprüfung der Messdateien wird anwaltlich regelmäßig ein messtechnischer Sachverständiger hinzugezogen, der mögliche Unregelmäßigkeiten bzw. technische Fehler der Messung aufzudecken in der Lage ist. Eine solche Überprüfung der Messung wird von jeder Verkehrsrechtsschutzversicherung übernommen. Eine entsprechende Versicherung gibt es ohne Selbstbeteiligung schon für unter € 100,00 im Jahr, die gut investiert sind. Ohne eine Rechtsschutzversicherung ist die Überprüfung des Messverfahrens nur eingeschränkt zu empfehlen, da Kosten in Höhe von in jedem Fall mehreren hundert Euro, nicht selten auch knapp oberhalb von tausend Euro, anfallen.

Wenn ich acht Punkte in Flensburg angesammelt habe, verliere ich dann sofort meine Fahrerlaubnis? Für wie lange, und wie kann ich diese zurückbekommen?

Michael Kuhagen: Es gibt teilweise einen zeitlichen Versatz von der Meldung des Kraftfahrt-Bundesamtes in Flensburg an die Führerscheinstelle des Wohnortes des Betroffenen, die die Entziehung dann ausspricht. Dies können mehrere Wochen und manchmal auch Monate sein. Die Entziehung erfolgt dann allerdings „ohne Wenn und Aber.“ Es gibt kein Ermessen der Behörde. Somit können auch keine persönlichen Gründe, wie etwa ein drohender Jobverlust, berücksichtigt werden, um eine andere Entscheidung oder auch nur eine Verschiebung zu erreichen. Der Führerschein kann frühestens nach Ablauf von sechs Monaten wieder neu erteilt werden. Hierfür muss nicht nur ein entsprechender Antrag gestellt, sondern regelmäßig auch zuvor eine medizinisch-psychologische Untersuchung (bekannter unter der Bezeichnung „Idiotentest“) mit Erfolg absolviert werden. Die Anforderungen, um diesen Test zu bestehen, sind deutlich höher als man sich anhand der bekannteren Bezeichnung vorstellt. Eine fachlich begleitete Vorbereitung, eher durch einen Verkehrspsychologen als durch einen Anwalt, ist dringend anzuraten.

Herr Rechtsanwalt Kuhagen, vielen Dank für das Gespräch.

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