„Das Arbeitsrecht wurde keineswegs durch den Virus infiziert“ – Rechtsanwalt Dr. Jens-Peter Voß

Interview mit Dr. Jens-Peter Voß
Im Interview spricht Dr. jur. Jens-Peter Voß, Partner der Kanzlei Dr. Voß in Berlin, über Arbeitsrecht im Corona-Zeiten, rechtliche Rahmenbedingungen für Kurzarbeit sowie wirksame Maßnahmen gegen Abmahnungen und Kündigungen.

Herr Dr. Voß, viele Unternehmen haben Kurzarbeit angemeldet. Was sind die Folgen für Arbeitnehmer?

Jens-Peter Voß: In Krisenzeiten können Arbeitgeber Produktion und Dienstleistung reduzieren oder gar auf null runterfahren und für ihre Beschäftigten dann Kurzarbeitergeld bei der Bundesagentur für Arbeit beantragen, damit die fehlende Vergütung so teilweise ausgeglichen wird. Das Kurzarbeitergeld kann für Beschäftige gezahlt werden, die sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind. Ob und in welchem Rahmen Kurzarbeit eingeführt wird, bestimmt der Betriebsrat mit. Gibt es keinen Betriebsrat, bedarf Kurzarbeit grundsätzlich zumindest der Zustimmung des Arbeitnehmers. Diese kann bereits im Arbeitsvertrag vereinbart sein oder etwa im Wege einer Einverständniserklärung des Arbeitnehmers erfolgen. Das Kurzarbeitergeld soll den Verdienstausfall teilweise ausgleichen und wird für die ausgefallenen Arbeitsstunden gewährt, es beträgt für Beschäftigte 60 % der Differenz zum bisherigen Nettoentgelt. Ab 01. März ab dem vierten Monat 70 % und ab dem siebten Monat 80 Prozent. Für Beschäftigte mit mindestens einem Kind beträgt es 67 %, ab 01. März ab dem vierten Monat 77 % und ab dem siebten Monat 87 %. Während des Bezuges muss bei Vermittlungsbemühungen durch die Agentur für Arbeit mitgewirkt werden. Das Kurzarbeitergeld ist eine Lohnersatzleistung und steuerfrei. Es unterliegt aber dem steuerlichen Progressionsvorbehalt, weshalb es für den Arbeitnehmer später zu einer geringeren Steuererstattung oder gar Steuernachzahlung kommen kann. Auf etwaiges späteres Arbeitslosengeld wirkt sich das Kurzarbeitergeld nicht aus, gleiches gilt für Kranken- und Pflegeversicherung, sowie die Unfallversicherung. Es besteht auch weiterhin Anspruch auf Krankengeld, allerdings handelt es sich im Falle des Bezuges genau wie beim Kurzarbeiter- und Arbeitslosengeld um eine sog. Lohnersatzleistung, die der Progression unterliegt. Arbeitnehmer, die in einer privaten Krankenversicherung versichert sind, bleiben privat versichert, auch wenn sich durch die kürzere Arbeitszeit der Verdienst deutlich verringert. Der Bezug von Kurzarbeitergeld wirkt sich auf eine spätere Rente aus. Denn auch während des Bezuges besteht Rentenversicherungspflicht, die Beiträge werden während der Kurzarbeit aber auf Basis des reduzierten Verdienstes gemeinsam vom Versicherten und dem Arbeitgeber eingezahlt und dieser reduzierte Verdienst wirkt sich damit auf den späteren Rentenanspruch aus. Kurzarbeit kann dazu führen, dass sich auch der Jahresurlaub verkürzt, denn wird weniger oder gar keine Arbeit geleistet, verringert sich auch der Anspruch auf Erholungsurlaub entsprechend. Ob sich Urlaubsansprüche während der Kurzarbeit automatisch verringern oder hier eine Regelung im Arbeitsvertrag oder etwa im Rahmen einer Betriebsvereinbarung notwendig wäre, ist nicht geklärt. Arbeitgeber dürfen die Urlaubsvergütung aber nicht pauschal wegen Kurzarbeit kürzen. Schwangere Arbeitnehmerinnen sollten bei etwaigen Vereinbarungen mit ihrem Arbeitgeber außerdem grundsätzlich vorsichtig sein, damit Ihnen dadurch später keine Nachteile drohen.

Dürfen Arbeitnehmer Kurzarbeit verweigern oder liegt die Entscheidung alleine beim Arbeitgeber?

Jens-Peter Voß: Der Arbeitgeber kann nicht einfach einseitig Kurzarbeit anordnen. Die Anordnung unterliegt den gesetzlichen Regelungen und der Arbeitgeber bedarf der Zustimmung des Arbeitnehmers bzw. des Betriebsrates. Eine Vereinbarung kann in einem Tarifvertrag oder Arbeitsvertrag geregelt sein. Liegt diese nicht vor, ist zwingend die Zustimmung des Arbeitnehmers einzuholen. Soweit sich der Arbeitnehmer dazu entschließt der Kurzarbeit nicht zuzustimmen, darf dies nicht als Grund für eine spätere Kündigung durch den Arbeitgeber verwendet werden. Hier gilt das sog. Maßregelungsverbot des § 612 a BGB. Wenn der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt, darf der Arbeitgeber ihn nicht bei einer Vereinbarung oder einer Maßnahme benachteiligen. Arbeitnehmer dürfen also die Zustimmung zur Kurzarbeit grundsätzlich verweigern und die Entscheidung liegt nicht allein beim Arbeitgeber. Verweigert der Arbeitnehmer, bleibt dem Arbeitgeber im Grunde nur der Weg über die sog. Änderungskündigung zu Lasten des Arbeitnehmers aufgrund dringender betrieblicher Bedürfnisse.

Ausgelöst durch Corona erhalten immer mehr Menschen eine Kündigung. Gilt der Kündigungsschutz in der Pandemie nur noch eingeschränkt?

Jens-Peter Voß: Das Arbeitsrecht wurde keineswegs durch den Virus „infiziert“ und gilt trotz Pandemie. Die aktuelle Krise ist also nicht automatisch ein Grund für die Kündigung eines Arbeitnehmers. Daher sollten betroffene Arbeitnehmer im Falle einer Kündigung diese ggf. juristisch prüfen lassen.

Die Kündigung ist im Briefkasten. Was ist jetzt zu tun?

Jens-Peter Voß: Nur weil man eine Kündigung zugestellt erhalten hat, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass die Kündigung auch wirksam ist. Zunächst gilt allgemein, dass eine Kündigung immer schriftlich erklärt werden muss. Es reicht also kein Telefax, keine E-Mail, kein Anruf oder gar eine SMS. Die Kündigung muss zudem immer vom Arbeitgeber oder einer vertretungsberechtigten Person unterschrieben worden sein. Ist dies nicht der Fall, sollte die Kündigung unverzüglich zurückgewiesen werden. Auch sind bei einer Kündigung die entsprechenden Fristen einzuhalten. Die Kündigungsfrist ergibt sich beispielsweise aus § 622 BGB, soweit nicht bereits im Arbeitsvertrag eine wirksame abweichende Vereinbarung vorliegt. Soweit ein Betriebsrat existiert, ist dieser zwingend anzuhören, eine Kündigung ohne Anhörung des Betriebsrates wäre sonst bereits deshalb unwirksam. Sind mehr als zehn Arbeitnehmer im Betrieb des Arbeitgebers beschäftigt und besteht das Arbeitsverhältnis bereits über ein halbes Jahr, gilt ergänzend das Kündigungsschutzgesetz und dessen Voraussetzungen. Wichtig ist, dass in einem solchen Falle dann binnen drei Wochen zwingend Kündigungsschutzklage einzureichen wäre. Versäumt der Arbeitnehmer diese Frist, kann er die gegebenenfalls unwirksame Kündigung sonst nicht mehr bzw. nur in sehr engen Ausnahmen erfolgreich angreifen. Grundsätzlich empfiehlt es sich daher im Zweifel immer die Wirksamkeit der Kündigung und seine Erfolgsaussichten sich gegen die Kündigung zur Wehr zu setzen schnellstmöglich prüfen zu lassen, damit man gegebenenfalls noch rechtzeitig Klage einreichen kann.

Häufig lassen sich Prozesse vermeiden. Was ist die beste Strategie für die Abfindungsverhandlung?

Jens-Peter Voß: Zunächst ist immer im konkreten Fall die eigene Rechtsposition zu prüfen. Erst wenn man seine Position kennt, kann man auch in einer Abfindungsverhandlung seine Position erfolgreich durchsetzen. Eine Entscheidung zu einem Aufhebungsvertrag sollte jedenfalls nicht übereilt getroffen werden. Viele Arbeitnehmer sind der Ansicht, dass sie im Falle einer Kündigung durch den Arbeitgeber automatisch Anspruch auf eine Abfindung haben. Ein Recht auf Abfindung ist allerdings keineswegs die Regel. Da der deutsche Kündigungsschutz jedoch sehr strikt ist, ist oft den Arbeitgebern das Risiko einer gerichtlichen Auseinandersetzung mit dem Arbeitnehmer zu hoch und es beginnen meist vor Ausspruch einer Kündigung oder spätestens im Prozess Verhandlungen über den Abschluss eines Aufhebungsvertrages gegen Abfindung. Für den Arbeitnehmer muss dies aber nicht unbedingt die beste Option darstellen und die beste Strategie bei solchen Verhandlungen wäre, sich zunächst Bedenkzeit zu erbitten und sich vorab in seinem konkreten Fall ausführlich beraten zu lassen, da hier weitaus mehr zu beachten gilt, als die Höhe der Abfindung. Es gibt aber beispielsweise gesetzliche Vorgaben, wenn der Arbeitnehmer eine Abfindung nach § 1a Kündigungsschutzgesetz angeboten bekommt. In solchen Fällen gilt, dass der Arbeitnehmer ein halbes Monatsverdienst pro Beschäftigungsjahr erhält. Zeiträume von mehr als sechs Monaten sind dabei aufzurunden und als Berechnungsgrundlage dient das Gehalt, das der Arbeitnehmer im Monat der ausgesprochenen Kündigung erhalten hat.

Was ist bei einem Aufhebungsvertrag zu beachten?

Jens-Peter Voß: Wesentliche Nachteile eines Aufhebungsvertrages können beispielsweise die fehlende Möglichkeit des Widerrufs und eine mögliche Sperrzeit beim Arbeitslosengeld darstellen. In jedem Falle verzichtet der Arbeitnehmer im Falle eines Aufhebungsvertrages auf seine Ansprüche auf Kündigungsschutz. Auch spielen insbesondere bei Abfindungsverhandlungen im Rahmen eines Aufhebungsvertrages Steuerfragen eine wichtige Rolle. Aus einer vermeintlich hohen Abfindung kann schnell eine kleine werden, denn die Abfindung ist zu versteuern. Daneben können weitere Punkte von Bedeutung sein, beispielsweise seien hier Vereinbarungen zur etwaigen Freistellung, Absprachen zum Resturlaub oder zum noch auszustellenden Arbeitszeugnis genannt. Gegebenenfalls kann es beispielsweise auch ratsam sein, Absprachen zu Sonderzahlungen, zum Dienstwagen oder zu Wettbewerbsverboten zu treffen. Arbeitgeber sind nicht verpflichtet auf rechtliche Fallstricke aufmerksam zu machen. In jedem Falle sollte genau geregelt sein, wann der Arbeitsvertrag endet und welche Gründe für die Beendigung greifen sollen. Auch sollte der Aufhebungsvertrag das Arbeitsverhältnis nicht vor Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist auflösen. Eine Sperrzeit beim Arbeitslosengeld droht insbesondere dann, wenn der Arbeitnehmer keinen wichtigen Grund hatte, sich von seinem Arbeitsvertrag zu lösen. Hier wäre insbesondere von Bedeutung, ob eine Kündigung durch den Arbeitgeber überhaupt bereits mit Bestimmtheit in Aussicht gestellt wurde. Auch die einzelnen Formulierungen im Vertrag, sowie auch die Höhe der Abfindung können hier von großer Bedeutung sein. Daher empfiehlt es sich zur Vermeidung erheblicher Nachteile vor Abschluss eines Aufhebungsvertrages sich ausführlich beraten zu lassen und einen Aufhebungsvertrag vor Unterschrift juristisch prüfen zu lassen.

Manche Arbeitgeber versuchen durch mehrfache Abmahnungen eine außerordentliche Kündigung herbeizuführen. Wie kann ich mich gegen falsche Abmahnungen wehren?

Jens-Peter Voß: Abmahnungen dienen einerseits als Warnung, andererseits erfüllen sie aber auch eine Dokumentationsfunktion. Der Arbeitgeber muss das Fehlverhalten konkret benennen, insbesondere auch die konkrete Zeit, sowie zum Ausdruck bringen, dass er das vertragswidrige Verhalten nicht mehr dulden möchte und er muss zugleich ankündigen, dass er das Arbeitsverhältnis beenden wird, soweit das Verhalten wiederholt oder in ähnlicher Form auftritt. Fehlt es an diesen Voraussetzungen, liegt keine Abmahnung, sondern nur eine Ermahnung vor. Welche Vorgehensweise in Bezug auf das sich zur Wehr setzen durch den Arbeitnehmer sinnvoll wäre, kann kaum pauschal festgestellt werden. Hier spielen die individuellen Umstände eine erhebliche Rolle und es empfiehlt sich in jedem Falle eine sorgfältige Prüfung und Beratung durch einen Rechtsanwalt. In erster Linie wäre zu prüfen, ob die Abmahnung als solche überhaupt eine darstellt, wenn ja, ob diese berechtigt ist oder nicht. Danach kann erst beurteilt werden, welche Vorgehensweise sinnvoll ist. Bei eindeutig unberechtigter Abmahnung kann auf Entfernung dieser aus der Personalakte geklagt werden. Bevor aber eine solche Klage eingereicht wird, sollte im Vorfeld abgewogen werden, ob eine Gegendarstellung nicht die sinnvollere Variante darstellt. Denn grundsätzlich gilt, dass ein Arbeitnehmer nicht verpflichtet ist, sich gegen eine unberechtigte Abmahnung überhaupt zu wehren. In vielen Fällen ist es ratsam auf unberechtigte Abmahnungen mit einer sachlichen Gegendarstellung zu reagieren.

Herr Dr. Voß, vielen Dank für das Gespräch.

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