Der Fachkräftemangel in Ausbildungsberufen ist geraumer Zeit ein großes Thema. Welche Auswirkungen hatte die Corona-Pandemie auf die ohnehin schon wackelige Ausbildungsbranche?
Sabine Bleumortier: Das ist natürlich unterschiedlich, weil nicht alle Branchen gleichermaßen von der Coronakrise betroffen sind. Die besonders stark gebeutelten Branchen haben ihre Ausbildungsplätze teils deutlich reduziert. Das führt insgesamt dann zu einem geringeren Angebot an Ausbildungsplätzen. Zudem ist die Nachfrage nach Berufen z.B. im Hotel- und Gastronomiegewerbe gesunken.
Aber es gibt ebenso Unternehmen, die zwar aufgrund der Corona-Pandemie Ausbildungskonzepte (z.B. Ausbilden im Homeoffice) anpassen mussten, aber an der Zahl der jährlichen Neueinstellungen an Auszubildenden nichts geändert haben.
Welche Gründe sehen Sie in der sinkenden Nachfrage? Handelt es sich einzig um Verunsicherung seitens der potentiellen Bewerberinnen und Bewerber?
Sabine Bleumortier: Die Verunsicherung ist tatsächlich da und hat bei der jungen Zielgruppe dazu geführt, dass diese sich eher für vermeintlich sicherere Branche interessieren oder weiter zur Schule bzw. zum Studium gehen. Natürlich spielt es zudem eine Rolle, dass ein Studium in unserer Gesellschaft immer noch als besonders erstrebenswert angesehen wird.
Und aus meiner Sicht haben es die Ausbildungsbetriebe versäumt, den Umgang mit der Coronakrise während der Ausbildung ausreichend zu kommunizieren. Nach dem ersten Schock im Frühjahr 2020 waren die meisten Ausbilder sehr engagiert, und haben viele kreative Lösungen gefunden, um ihre Auszubildenden weiter gut auszubilden.
Vielfach kritisiert wird die mangelnde Attraktivität der Ausbildungsberufe aufgrund der geringen Entlohnung und den familienunfreundlichen Arbeitsbedingungen, als Beispiel in der Pflege. Nun kommt zudem die Verunsicherung durch die Corona-Pandemie hinzu. Welche Möglichkeiten haben Unternehmen noch, um die nächste Generation für sich zu gewinnen?
Sabine Bleumortier: Es muss nicht immer der monetäre Anreiz im Sinne einer hohen Ausbildungsvergütung sein. Auch Zusatzleistungen wie das kostenlose Mittagessen, die Übernahme der Fahrtkosten oder ein Zuschuss zur Unterkunft sprechen viele Jugendliche an. Ebenso sind hier aber auch die Weiterbildungsmöglichkeiten im Beruf zu nennen.
„Was ist das Besondere an Ihrem Unternehmen / an Ihrem Ausbildungsberuf?“ Diese Frage sollten die Betriebe beantworten können und den speziellen und ganz individuellen Nutzen herausstellen.
Gerade KMUs sehen sich hier oft im Nachteil gegenüber den Großunternehmen. Dabei bieten diese viele Pluspunkte, die für die Generation Z sehr attraktiv sind.
Immer mehr Schulabgänger entscheiden sich aufgrund der besseren Bedingungen für ein Studium. Was bedeutet dies für Ausbildungsberufe im Zusammenhang mit der Akademisierung. Werden in Zukunft vielleicht auch Tischler, Konditoren und Maler in einer Hochschuleinrichtung ausgebildet?
Sabine Bleumortier: Ich hoffe nicht, weil es aus meiner Sicht der falsche Weg wäre. International ist unsere Ausbildung sehr anerkannt. Darauf sollten wir stolz sein und diese nicht akademisieren.
Fachkräfte werden zwar dringend gebraucht, doch muss der Beruf auch die wirtschaftliche Unabhängigkeit garantieren können. Was raten Sie der kommenden Generation, die vor der Entscheidung Ausbildung oder Studium steht?
Sabine Bleumortier: Ich empfehle viele Praktika zu machen und sich dort genau anzusehen, was einem liegt und was man später machen möchte (oder eben gerade nicht). Es geht nicht darum, welche Erwartungen Eltern oder das Umfeld an die Berufswahl haben, sondern das zu tun, was man selbst möchte. Das kann die Ausbildung sein, bei der man gleich in der Praxis startet und Geld verdient oder ein Studium – oder auch noch die Kombination mit einem Dualen Studium.
Dieses Jahr sind erneut 15.000 weniger Lehrstellen angeboten worden. Hinzu kommt, dass trotz des geringeren Angebots ein großer Teil der Lehrplätze unbesetzt bleibt. Welche Prognose geben Sie für die Ausbildungsbranche?
Sabine Bleumortier: Vielleicht bin ich bei diesem Thema zu idealistisch, aber ich sehe durchaus eine positive Zukunft für die betriebliche Ausbildung. Diese ist gut und hat viele Vorteile. Klar ist manches im Umbruch (ich sage nur „Digitalisierung“) und einige Prozesse müssen schneller und moderner werden. Die Ausbildung sollte in der Gesellschaft noch viel sichtbarer sein und zudem das tolle Engagement der Ausbilder und Azubibetreuer in den Fachbereichen mehr gewürdigt werden.
Wir brauchen nicht nur Akademiker, sondern auch viele gute Fachkräfte.