Es gibt zahlreiche Gründe, warum Beschäftigte unzufrieden mit ihrem Job sind. Für viele ist aber eine berufliche Neuorientierung keine Option. Was sind die häufigsten Gründe, die zu einer Jobunzufriedenheit führen?
Laura Burckhardt: Grund Nummer eins, den ich am häufigsten höre: Die Beschäftigten fühlen sich nicht genug wertgeschätzt. Und: Ihnen fehlt die Bewusstheit, einen wichtigen Beitrag für etwas, also ein Projekt oder ein gemeinsames Ziel zu leisten. Häufig höre ich auch, dass sie selbstbestimmter arbeiten möchten. Sie wünschen sich mehr Freiheit in der Art zu arbeiten, also wo und wie. Auch ein Grund, den ich häufig höre: Ihnen fehlt das Gefühl des Miteinander. Also eine Variante des „gemeinsam für ein Ziel arbeiten“. Ein anderer, nicht ganz so oft genannter Grund: Sie fühlen sich ihrem Chef nicht wohl.
Aus meiner Perspektive ist der Hauptgrund für Unzufriedenheit im Beruf, dass die Menschen ihre persönlichen Werte nicht leben können. Das stellen viele aber erst später fest, wenn sie sich über ihre Werte Gedanken gemacht haben. Und wenn sie erkennen, dass ihre Werte, also ihre persönlichen Leitlinien, nicht respektiert werden.
Woher weiß man, dass es Zeit ist den Job zu wechseln, um sich neuen Herausforderungen zu stellen?
Laura Burckhardt: Am besten kann man das für sich erkennen, wenn man über einen längeren Zeitraum echten Unwillen spürt, zur Arbeit zu gehen oder im Home Office zu arbeiten. Taucht dieses Gefühl nur so ab und zu an einem Tag auf oder über einen kurzen Zeitraum, ist das sicherlich noch nicht ausschlaggebend. Zur konkreten Bewertung hilft eine persönliche Bilanz, bei der ich über eine Zeitspanne von z.B. drei Monaten analysiere: Wie oft habe ich mich in die Arbeit gequält? Wie oft bin ich gern hingegangen? Wie oft war ich abends zufrieden? Wie oft unzufrieden? Überwiegt die Anzahl der negativen Tage in der Bilanz, ist es Zeit, sich die Unzufriedenheit einzugestehen.
Und genau das ist auch das Stichwort: Viele folgen dabei nämlich ihrem inneren Glaubenssatz, Arbeit dürfe keinen Spaß machen. Und sie hätten kein Recht darauf, dass Arbeit mit Freude, Motivation, Leichtigkeit verbunden sein darf. Denen fällt es dann eben auch besonders schwer, überhaupt festzustellen, dass es Zeit ist, den Job zu wechseln. Die denken leider erst an einen Jobwechsel, wenn sie schon körperliche Symptome wie Burn-Out oder Bore-Out spüren.
Wer diesen Knoten der Glaubenssätze lösen möchte, den ermutige ich, sich mit diesen Glaubenssätzen zu beschäftigen. Dabei helfen Fragen wie: Wer behauptet eigentlich, dass Arbeit mir keinen Spaß machen darf? Steckt vielleicht eine der inneren Stimmen dahinter, die mich schon in meiner Kindheit geprägt hat? Und die Überlegung, ob diese inneren Stimmen denn recht haben. Darf mir meine Arbeit Spaß machen? Darf ich überprüfen, ob mich die Arbeit erfüllt, ob ich sie gern mache? Und genau darum geht es im nächsten Schritt: sich diese Erlaubnisse zu erarbeiten. Damit man dann für sich sagen kann: „Ich darf meine Unzufriedenheit mit der Arbeit wahrnehmen und äußern. Ich darf einen neuen, passenderen Weg für mich finden.“
Eine andere Möglichkeit festzustellen, ob der Job passt, ist die Orientierung an den persönlichen Werten. Dazu definiert man am besten die Top drei für sich und legt sie wie eine Schablone über den Arbeitsalltag und überprüft, ob man diese Werte im Unternehmen leben kann, ob sie respektiert werden. Wenn nicht, ist es Zeit für neue Wege. Bitte dabei beachten: Bei der Definition der Werte geht es darum, die eigenen Werte zu definieren und nicht die, die die Gesellschaft oder die Eltern uns übergestülpt haben.
Viele Beschäftigte über 35 haben Hemmungen sich neu zu orientieren. Kann man im fortgeschrittenen Alter noch adäquat Karriere machen?
Laura Burckhardt: Meine Lieblingsfrage. Und meine Antwort: JA! Ich begleite mit meinen Coachings seit über elf Jahren Menschen mit 40+ und 50+ auf dem Weg zur beruflichen Neuorientierung. Da funktioniert die Job-Suche allerdings anders als früher. Die klassische Bewerbung über Job-Portale, die nach knackigen Suchbegriffen und Alter filtern, führt nicht zum gewünschten Ziel. Es geht in erster Linie erstmal darum, Klarheit über sich selbst zu bekommen. Und zu klären: Wer bin ich, was kann ich, welche Erfahrungen bringe ich mit, welche Werte sind mir wichtig, und was brauche ich, um richtig gut zu sein? Mit der Klarheit darüber lässt sich der gesamte Bewerbungsprozess mit neuem Selbstbewusstsein steuern. Statt zu fragen: „Passe ich zum Unternehmen, bin ich gut genug?“ heißt die Frage dann: „Hier bin ich. Was könnt ihr mir bieten, damit ich Euch mit meinen Erfahrungen und meinen Stärken zu mehr Erfolg verhelfen kann?
Weitere Infos: https://lauraburckhardt.de/2021/07/21/berufliche-neuorientierung-40plus-coaching-blog-muenchen/
Die Jobsuche selbst funktioniert dann eher über das Netzwerk im Bekanntenkreis, das Befragen, das Ausprobieren, und eben nicht über klassische Stellenanzeigen.
Ein Neuanfang ist immer schwer. Wie kann man mentale Hürden der Neuorientierung überwinden?
Laura Burckhardt: Dazu gibt es einige Hilfsmittel. Zum einen, indem man daran arbeitet, seine neuen Ziele, vielleicht sogar Visionen, zu definieren. Das fällt vielen gar nicht so leicht. Viele wissen, was sie nicht wollen. Dabei ist die Reflexion zu seinem persönlichen Ziel sehr wertvoll und macht Mut zum Neuanfang. Dabei können Gespräche mit Freunden helfen, das Aufschreiben von Gedanken oder auch die professionelle Unterstützung eines Coaches, der mit den richtigen Fragen für Klarheit sorgen kann.
Hat man sein großes Ziel gefunden, geht es darum, die Zwischenziele, die leichter erreichbar sind und die den Weg dorthin ebnen, zu erarbeiten. Und klar zu beschreiben, was dafür und bis wann zu tun ist. Damit ergibt sich meist ein klar strukturierter Weg, der geradezu motiviert loszulegen. Dadurch, dass die erreichbaren Zwischenziele, die Teilziele, klar sind, fällt es auch leichter, den ersten Schritt zu tun.
Was muss man also tun, damit eine berufliche Neuorientierung gelingt?
Laura Burckhardt: Als erstes kann man sich die Überlegung gönnen, wie es wäre, wenn man nichts ändert. Wenn also alles so weiterlaufen würde wie bisher. Wie würde sich das anfühlen, in einem Jahr, in drei Jahren? Wenn dann Klarheit entstanden ist, dass man wirklich eine Änderung möchte, sollte man sich zugestehen, dass das auch Zeit kosten darf. Es geht schließlich darum, einen neuen Weg zu gehen. Wer das versäumt oder zu schnell vorwärts stürmt, läuft Gefahr, denselben Job in grün anzusteuern. Um danach noch tiefer zu verzweifeln. Es geht also darum, sich Zeit zu nehmen, um seine Ziele neu zu definieren. Und darum, Klarheit zu bekommen über die eigenen Stärken und Werte. Und wie man seine Erfahrungen wirksam einbringen kann.
Was raten Sie Beschäftigten, die mit dem Gedanken spielen, den Beruf zu wechseln?
Laura Burckhardt: Bevor man überhaupt über einen Jobwechsel nachdenkt, sollte man über seine Unzufriedenheit sprechen. Mit dem Chef, mit HR, mit Kollegen. Und gemeinsam schauen, wo die Unzufriedenheit herkommt und ob es Möglichkeiten gibt, etwas zu ändern. Oft hilft nämlich schon die Klarheit, woher die Unzufriedenheit kommt. Ich nutze dazu gern das Drei-Welten-Modell. Damit lässt sich gut erkennen, ob es am Inhalt des Berufs, an dem Setting in der Organisation oder vielleicht sogar am Privaten Umfeld liegt.
Weitere Infos: https://lauraburckhardt.de/2021/06/22/coaching-berufliche-neuorientierung-berufswechsel/
Viele HR-Abteilungen finanzieren dazu übrigens auch Coachings für ihre Mitarbeiter, damit die neue Wege für sich ausloten können im Unternehmen.
Wenn das keine Änderungen mit sich bringt, sollte man folgende Fragen reflektieren:
• Was wäre, wenn ich nichts ändern würde? Wie fühlt sich das an, in einem Jahr, in drei Jahren?
• Bin ich dann immer noch überzeugt, meinen Job wechseln zu wollen, ist es wertvoll, einen Zeit- und Finanzplan für die nächsten Monate zu erarbeiten. Und zwar bevor man kündigt oder schnell andere Wege einschlägt. Dieser Plan bringt Stabilität, Mut und Klarheit.
• Für diesen Plan helfen Fragen wie: Kann ich es mir erlauben, eine Auszeit zu nehmen? Wie lange? Wer kann mir dabei helfen? Was will ich? In fünf Jahren, in drei, in einem Jahr? Wer kann mir helfen, wieviel Zeit nehme ich mir dafür?