Katja Henge: Langeweile kann krank machen

Interview mit Katja Henge
Katja Henge ist Inhaberin einer Praxis für Psychotherapie und Coaching in Hamburg. Mit ihr sprechen wir über Unterforderung am Arbeitsplatz, betroffene Arbeitnehmer sowie Müdigkeit und Antriebslosigkeit.

Mit Sicherheit hat jeder schon mal etwas von dem Begriff “Burnout” gehört. Doch mit dem gegenteiligen Begriff “Boreout” verhält es sich etwas anders. Was ist ein Boreout überhaupt?

Katja Henge: In dem Wort Boreout (Boreout-Syndrom) ist das englische Wort „boredom“ (Langeweile) enthalten, dies bedeutet, dass Arbeitnehmer von Langeweile und Unterforderung an ihrem Arbeitsplatz psychisch krank werden können, genauso krank wie durch die Überforderung (Burnout). Ein Boreout entsteht durch lang andauernde Langeweile und Unterforderung am Arbeitsplatz. Davon ist etwa jeder zehnte Arbeitnehmer betroffen. Boreout kann in allen Berufen und Branchen vorkommen, besonders betroffen sind beispielweise Verwaltungs- oder Versicherungsangestellte, Empfangsmitarbeiter oder Arbeitnehmer in Archiven.

Ein Boreout ist im Gegensatz zum Burnout schwieriger zu identifizieren. Welche Symptome können bei Betroffenen auftreten?

Katja Henge: Die Symptome und deren Folgen weisen starke Ähnlichkeiten mit dem Burnout-Syndrom auf: Müdigkeit, Antriebslosigkeit, Unzufriedenheit, Depressionen, Schlafstörungen, Gereiztheit, Gefühl der Leere, Kopfschmerzen, Tinnitus, Schwindelgefühle oder Rücken- und Magenbeschwerden. Betroffene des Boreout-Syndroms sind immer weniger belastbar, gehen nur noch widerwillig zur Arbeit und haben Schwierigkeiten ihre Tätigkeiten auszuhalten. Innerlich haben sie oft schon längst gekündigt, bleiben jedoch trotzdem, aus Angst ihre soziale Absicherung durch den Arbeitsplatz zu verlieren. Mit der Zeit fällt den Betroffenen der Alltag immer schwerer, nicht nur am Arbeitsplatz sondern auch im Privatleben.

Betroffene unterschätzen oftmals den Boreout und denken es sei eine harmlose Variante des Burnouts oder einfach nur Langeweile am Arbeitsplatz. Ist ein Boreout wirklich weniger beunruhigend als ein Burnout?

Katja Henge: Dass Langeweile krank machen soll, klingt paradox. Die langfristigen Folgen von Burnout und Boreout sind jedoch gleich, auf körperlicher und auf psychischer Ebene. Der Motivationsforscher McClelland hat festgestellt, dass menschliche Motivation drei dominante Bedürfnisse umfasst: Machtmotiv, Anschlussmotiv (Zugehörigkeit) und Leistungsmotiv (Erfolg). Das Leistungsmotiv ist das Bestreben von Menschen, die eigene Leistungsfähigkeit unter Beweis zu stellen, sich über den erreichten Erfolg freuen zu können und Stolz zu empfinden. Ist dieses Motiv unbefriedigt, wird dem Menschen signalisiert, überflüssig zu sein und nicht dazuzugehören. Dies macht langfristig psychisch krank. Boreout führt am Ende, genauso wie bei Burnout, dazu, dass fast gar keine Energie vorhanden ist sein Leben zu bewältigen, dazu zählen auch kleine alltägliche Erledigungen, wie z.B. Einkaufen, Essen zubereiten, Körperpflege. Die Diagnose lautet dann: Depression.

Immer wieder wird berichtet, dass positiver Stress ein Ausweg vom Boreout sein soll. Das hört sich erstmal etwas seltsam an. Was genau kann man unter positiven Stress verstehen und wie könnte dieser den Betroffenen helfen?

Katja Henge: Positiver Stress kann unterschiedlich interpretiert werden. Meiner Meinung nach ist positiver Stress, beruflich wie privat, „Freude“ an Tätigkeiten und persönliche „Herausforderungen“, die uns an unsere persönlichen „Grenzen“ bringen. Außerdem spielt der „Sinn“ der Aufgabe eine große Rolle. Eine Studie (Gallup) zeigt, dass sinnstiftende Arbeit einer der wichtigsten Treiber für Freude im Job ist: Angestellte, die einen Sinn in ihrem Tun erkennen, sind 2,4 Mal zufriedener! Im Zusammenhang mit positivem Stress wird auch oft der Begriff Eustress genannt. Das englische Wort Eustress bedeutet „wohltuenden Stress“ (psychisch und physisch). Unsere persönliche Leistungsfähigkeit ist abhängig von unserem Stresslevel. Wir benötigen ein bestimmtes und sehr individuelles Stresslevel um energetisch, konzentriert und motiviert zu arbeiten. Ist das Stresslevel zu niedrig führt es zur Unterforderung (Boreout), ist es zu hoch kommt es zu einer Überforderung (Disstress) – Burnout. Die Betroffenen eines Boreouts müssen sich bewusst machen, dass ihr Stresslevel zu niedrig ist und sie dadurch nicht voll leistungsfähig sind.

Für Betroffene von Boreout scheint der Berufswechsel der einzige Ausweg. Was können Betroffene, Ihrer Meinung nach noch gegen einen Boreout tun?

Katja Henge: Neben der Kündigung, als letzter Ausweg, können Betroffene im wahrsten Sinne des Wortes ihrem Vorgesetzen ihre „boredom“ „outen“, also ihre Langeweile oder nennen wir es besser Unterforderung mitteilen. Wie dies dann von dem jeweiligen Vorgesetzten oder dem Unternehmen aufgefasst wird, ist sehr unterschiedlich. Aus diesem Grund baue ich in der Therapie mit dem Betroffenen ein emotionales Sicherheitsnetz auf. Dazu werden Auswege und Möglichkeiten durchgespielt. Außerdem werden Familie und Freunde mit eingebunden und die finanziellen Auswirkungen beleuchtet. Das wichtigste ist aber, dass die Gefühle und die damit verbundene Selbstkompetenz zu diesem Thema gestärkt werden. Denn die Gefühle (z.B. Frustration), die in Verbindung mit einem Boreout entstehen sind nie als falsch zu bewerten! Gefühle zeigen uns immer an, wenn etwas nicht stimmig für uns ist und was wir brauchen, um unsere Bedürfnisse zu befriedigen! Oft ist der Umstand der Tätigkeit, in der ein Boreout entsteht, nicht der richtige für uns. Das heisst, dass der Betroffene nicht seinen Beruf wechseln muss, sondern dass die Tätigkeit, die er gerade ausführt und/oder das Umfeld, der Vorgesetzte, das Unternehmen, die Kollegen usw. nicht zu ihm und seinen Bedürfnissen passen!

Frau Henge, vielen Dank für das Gespräch!

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Katja Henge

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