Olaf Dietz: Vorfälligkeitsentschädigung

Interview mit Olaf Dietz
Olaf Dietz ist Rechtsanwalt in der Kanzlei Dr. Bock & Collegen in Chemnitz. Mit ihm sprechen wir über Zurückforderung von Vorfälligkeitsentschädigungen, Nachvollziehbarkeit sowie Aktiv-Passiv-Methode.

Verbraucher, die ein nach dem 20. März 2016 abgeschlossenes Immobiliendarlehen gegen Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung vorzeitig abgelöst haben, können die Entschädigung von der Bank zurückfordern. Warum ist es überhaupt möglich, unter Umständen, die Vorfälligkeitsentschädigung zurückzufordern?

Olaf Dietz: Betroffen von der Möglichkeit, die Vorfälligkeitsentschädigung zurückzufordern sind Immobiliar-Verbraucherdarlehen, die seit der Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie zum 21.03.2016 abgeschlossen wurden. Seit diesem Zeitpunkt steht dem Darlehensnehmer eines Verbraucherdarlehens gem. § 500 Abs. 2 BGB das Recht zu, das Darlehen ganz oder teilweise vorzeitig zurückzuführen. Während der laufenden Sollzinsbindung gilt dies allerdings nur, wenn der Darlehensnehmer an der vorzeitigen Rückführung ein „berechtigtes Interesse“ hat. was insbesondere die Fälle der Veräußerung der finanzierten Immobilie betrifft. Die Bank hat in diesem Fall gem. § 502 Abs. 1 BGB Anspruch auf Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung. Dies ist jedoch ausgeschlossen ist, wenn im Vertragswerk Angaben über die Laufzeit des Vertrags, das Kündigungsrecht des Darlehensnehmers oder die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung unzureichend oder fehlerhaft sind. Der Gesetzgeber fordert, dass die Angaben zur Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung für den Darlehensnehmer nachvollziehbar sein müssen. Das ist nur dann der Fall, wenn die Angaben über die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung klar und verständlich im Sinn von Art. 247 § 7 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB i.V.m. § 492 Abs. 2 BGB sind. Maßgeblich dafür ist die Sicht eines normal informierten, angemessen verständigen durchschnittlichen Verbrauchers. Der Darlehensgeber muss dem Verbraucher für seine Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung die wesentlichen Parameter zumindest in groben Zügen klar und verständlich darlegen. Gerade hier ergeben sich häufig Fehler.

Wann ist der Einsatz des Widerrufsjokers möglich?

Olaf Dietz: Der Widerrufsjoker ist vom sog. Vorfälligkeitsjoker zu unterscheiden. Der Widerrufsjoker ist bei Darlehensverträgen mit fehlerhafter Widerrufsbelehrung, die zwischen 11. Juni 2010 und 20. März 2016 geschlossen wurden, möglich. Diese können Verbraucher unbefristet widerrufen. Für nach dem 20.03.2016 geschlossene Darlehensverträge wurde die Widerrufsfrist auch bei fehlerhafter Widerrufsbelehrung gesetzlich auf ein Jahr und 14 Tage begrenzt. Zu beachten ist, dass der Widerrufsjoker bei Immobiliendarlehen ohnehin keine Anwendung findet. Der Bundesgerichtshof erachtet im Fall eines Immobiliendarlehens nationales Recht und nicht Unionsrecht als ausschlaggebend (Beschluss vom 31. März 2020, Aktenzeichen XI ZR 581/18), sodass die Widerrufsbelehrung lediglich klar und verständlich sein muss – was in nahezu allen Fällen erfüllt sein dürfte.

Was gibt es bei der Rückforderung der Vorfälligkeitsentschädigung zu beachten?

Olaf Dietz: Zunächst sind Verjährungsfristen zu beachten. Die Rückforderung einer Vorfälligkeitsentschädigung ist nur innerhalb der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren möglich. Diese Frist beginnt am 01.01. des auf die Zahlung der Vorfälligkeitsentschädigung folgenden Jahres. Ferner sollt immer eine Einzelfallprüfung vorgenommen werden und von einer pauschalen Rückforderung oder Verweigerung der Zahlung der Vorfälligkeitsentschädigung Abstand genommen werden. Es sollte jeder Darlehensvertrag einschließlich aller Vertragsbedingungen und überlassener Merkblätter genau geprüft werden. Hier sind verschiedenste fehlerhafte Formulierungen im Rahmen des Vertragswerkes denkbar. Um diese zu finden und gegenüber der darlehensgebenden Bank substantiiert begründen zu können, ist die Kenntnis der Rechtsprechung auf diesem Gebiet auch in europarechtlicher Hinsicht unumgänglich.

Für die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung gibt es verschiedene Möglichkeiten. Dabei wird allerdings oft auf die Aktiv-Passiv-Methode zurückgegriffen. Was sind die Nachteile diese Methode aus Sicht des Kreditnehmers?

Olaf Dietz: Zunächst muss man die Berechnungsabläufe der gängigsten Methoden der Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung vergleichen. Die sogenannte Aktiv-Passiv-Methode unterstellt zunächst, dass vorzeitig zurückgeflossene Darlehensvaluta am Kapitalmarkt angelegt werden können. Die daraus resultierenden Zinserträge sind auf den Zinsausfall des Darlehens anzurechnen. Die Vorfälligkeitsentschädigung errechnet sich damit aus der Differenz zwischen den Zinserträgen des ursprünglichen Darlehens und den Renditen laufzeitkongruenter Hypothekenpfandbriefe. Der sich ergebende Differenzwert muss noch um Beträge sowohl für ersparte Verwaltungsaufwendungen als auch für das entfallende Risiko gekürzt werden und ist mit den laufzeitkongruenten Zinssätzen für Kapitalmarkttitel öffentlicher Schuldner auf den Rückzahlungszeitpunkt abzuzinsen. Durch die Art der Berechnung sind in der Aktiv-Passiv-Methode der Zinsverschlechterungs- und der Zinsmargenschaden abgedeckt. Bei der Aktiv-Aktiv-Methode geht die Bank hingegen davon aus, dass das vorzeitig zurückgeflossene Darlehensvaluta sofort an einen anderen Darlehensnehmer im Rahmen eines neuen Darlehens vergeben wird. Die Differenz zwischen dem aktuellen Zinssatz und dem Zinssatz des zurückgeführten Darlehens ergibt den sog. Zinsverschlechterungsschaden. Hinzuzurechnen ist ein sog. „Zinsmargenschaden“, weil der Bank für die Restlaufzeit der kalkulatorische Gewinn entgeht. In den meisten Fällen ist die Aktiv-Aktiv-Methode für den Kunden die günstigere Lösung. Sie wird daher von den meisten Banken nicht angewendet. Darüber hinaus führt diese Methode zur Offenlegung der Zinsmarge. Dass die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung mittels der Aktiv-Aktiv-Methode für den Kunden die günstigere Lösung ist, zeigt sich insbesondere dann, wenn Darlehenszinsen seit der ursprünglichen Darlehensvergabe gestiegen sind, denn in diesem Fall ließe sich gar keine Vorfälligkeitsentschädigung berechnen, da diese negativ ausfiele.

Bei Anwendung der Aktiv-Passiv-Methode hingegen ergäbe sich eine Vorfälligkeitsentschädigung.

Es heißt oft, dass man die Vorfälligkeitsentschädigung umgehen kann. Wie geht man vor, um die Vorfälligkeitsentschädigung zu vermeiden oder zu reduzieren?

Olaf Dietz: Zunächst sollte der Bank angekündigt werden, dass von dem gesetzlichen Rückzahlungsrecht nach § 500 Abs. 2 BGB Gebrauch gemacht werden soll. Die Bank wird im Anschluss die Vorfälligkeitsentschädigung berechnen. Die Zahlung der Vorfälligkeitsentschädigung wird dann zur Bedingung des dem Notar erteilten Treuhandauftrages gemacht, sodass die Zahlung der Vorfälligkeitsentschädigung in der Regel gar nicht verhindert werden kann, ohne die Abwicklung des Verkaufs der Immobilie in Gefahr zu bringen. Die Vorfälligkeitsentschädigung wird daher zunächst gezahlt werden müssen, um die Immobilie lastenfrei übertragen zu können. Vorher sollte gegenüber der Bank ein Rückforderungsvorbehalt erklärt werden. Zu beachten ist hierbei allerdings, dass eine Leistung unter dem Vorbehalt der Rückforderung keine Erfüllungswirkung hat und auch in diesem Fall die Verwertung der Immobilie gefährdet werden könnte, wenn die Bank den Rückforderungsvorbehalt nicht akzeptiert. Es ist daher auf jeden Fall zu empfehlen vor Zahlung der Vorfälligkeitsentschädigung der Bank nachweislich schriftlich mitzuteilen, dass die Zahlung der Vorfälligkeitsentschädigung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht dem Grunde und der Höhe nach erfolgt. Nach Zahlung der Vorfälligkeitsentschädigung sollte diese unter Setzung einer angemessenen Frist zurückverlangt werden. Leistet die Bank nicht, befindet sich die Bank im sogenannten Verzug. Dieser bewirkt, dass die Bank die dann anfallenden Anwaltskosten des Bankkunden zu ersetzen hat, sofern der Rückforderungsanspruch berechtigt ist und erst hier gegebenenfalls ein Rechtsschutzversicherer eintrittspflichtig wird.

Herr Dietz, vielen Dank für das Gespräch!

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