Marvin Müller-Blom: Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie

Interview mit Marvin Müller-Blom
Marvin Müller-Blom ist Rechtsanwalt in der Kanzlei Rödl & Partner in Eschborn. Mit ihm sprechen wir über Vorfälligkeitsentschädigung, Berechnungsmethode sowie fehlerhafte Informationen.

Verbraucher, die ein nach dem 20. März 2016 abgeschlossenes Immobiliendarlehen gegen Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung vorzeitig abgelöst haben, können die Entschädigung von der Bank zurückfordern. Warum ist es überhaupt möglich, unter Umständen, die Vorfälligkeitsentschädigung zurückzufordern?

Marvin Müller-Blom: Dies beruht auf einer Gesetzesänderung, die im März 2016 im Rahmen der Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie in Kraft getreten ist und vorsieht, dass Kreditinstitute ihre Kunden korrekt über die Berechnung einer Vorfälligkeitsentschädigung informieren müssen, insbesondere über die Voraussetzungen und die Berechnungsmethode der Vorfälligkeitsentschädigung. Ist die Information fehlerhaft oder unvollständig, ist der Anspruch auf eine Vorfälligkeitsentschädigung gemäß § 502 Abs. 2 Nr. 2 BGB ausgeschlossen. Soweit die Vorfälligkeitsentschädigung bereits bezahlt wurde, kommt in diesen Fällen ein Rückforderungsanspruch nach den Grundsätzen der ungerechtfertigten Bereicherung in Betracht.

Wann ist der Einsatz des Widerrufsjokers möglich?

Marvin Müller-Blom: Der sogenannte Widerrufsjoker kommt grundsätzlich in den Fällen in Betracht, in denen – wie der Name schon sagt – die Widerrufsbelehrung eines Darlehensvertrages fehlerhaft oder unvollständig ist, was regelmäßig Einfluss auf den Beginn der Widerrufsfrist hat, sodass diese noch nicht zu laufen begonnen hat. In solchen Fällen kann der Kreditnehmer den Darlehensvertrag unter Umständen insgesamt widerrufen und den Darlehensbetrag zurückzahlen, ohne eine Vorfälligkeitsentschädigung zahlen zu müssen.

Inzwischen existiert eine umfangreiche Rechtsprechung zur Anwendung des Widerrufsjokers mit diversen höchstrichterlichen Entscheidungen. Der typische Anwendungsfall des Widerrufsjokers liegt vor, wenn die Sollzinsbindung des Darlehens noch nicht abgelaufen ist und keine andere Möglichkeit besteht, den Vertrag vorzeitig zu beenden, um Zinsvorteile zu nutzen. Bevor mit der Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie die ergänzenden Informationspflichten zu den Voraussetzungen und den Berechnungsmethoden von Vorfälligkeitsentschädigungen implementiert wurden, wurde auch mithilfe des Widerrufsjokers versucht, bereits gezahlte Vorfälligkeitsentschädigungen im Rahmen von Umschuldungen nachträglich zurückzufordern.

Was gibt es bei der Rückforderung der Vorfälligkeitsentschädigung zu beachten?

Marvin Müller-Blom: Um den Anspruch erfolgreich durchsetzen zu können, sollte zunächst durch einen versierten Rechtsanwalt geprüft werden, ob die vom Kreditinstitut verwendeten Angaben und Informationen fehlerhaft oder unvollständig sind. Denn dazu gehört regelmäßig auch die Überprüfung der Erläuterung der finanzmathematischen Rechenschritte der Berechnungsmethode für die Vorfälligkeitsentschädigung. Nur wenn die gesetzlichen Voraussetzungen nicht eingehalten sind, ist es möglich, den Anspruch auf Vorfälligkeitsentschädigung auszuschließen und damit einen Rückforderungsanspruch gegen das Kreditinstitut geltend zu machen. Zu beachten ist auch, dass entsprechende Ansprüche der Verjährung unterliegen. Das heißt, um einen möglicherweise durchsetzbaren Anspruch nicht zu verlieren, sollten Kreditnehmer frühzeitig prüfen lassen, wann der Anspruch von der Verjährung bedroht ist.

Für die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung gibt es verschiedene Möglichkeiten. Dabei wird allerdings oft auf die Aktiv-Passiv-Methode zurückgegriffen. Was sind die Nachteile dieser Methode aus Sicht des Kreditnehmers?

Marvin Müller-Blom: Zur Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung greifen Kreditinstitute auf die Aktiv-Aktiv-Methode oder die Aktiv-Passiv-Methode zurück, wobei Letztere am häufigsten verwendet wird. Bei der Aktiv-Passiv-Methode errechnet das Kreditinstitut zunächst die Darlehensrendite, d. h. was das Kreditinstitut verdient hätte, wenn der Vertrag bis zur Fälligkeit gelaufen wäre, wobei es die Höhe der Restschuld, die Restlaufzeit, den vereinbarten Zinssatz und den aktuellen Zinssatz berücksichtigt. Dem stellt das Kreditinstitut dann eine Berechnung gegenüber, welche Rendite es gehabt hätte, wenn es die frei gewordenen Geldbeträge in Hypothekenpfandbriefe mit gleicher Laufzeit angelegt hätte. Die Differenz stellt dann die Vorfälligkeitsentschädigung dar. Bei der Aktiv-Aktiv-Methode ermittelte das Kreditinstitut die Höhe der Vorfälligkeitsentschädigung nicht durch Abzug der Rendite, die es mit Hypothekenpfandbriefen erzielt hätte, sondern durch die Rendite, die das Kreditinstitut bei der Vergabe eines Darlehens an einen neuen Kreditnehmer unter Berücksichtigung der aktuellen Zinskonditionen erzielt hätte. Dabei ist die Aktiv-Passiv-Methode in der Regel die Methode, die zu einer höheren Vorfälligkeitsentschädigung für das Kreditinstitut führt. Denn bei der Aktiv-Aktiv-Methode schlägt sich ein kurzfristiger Anstieg des Zinsniveaus sofort in einer geringeren Vorfälligkeitsentschädigung nieder. Je höher das Zinsniveau, desto niedriger ist in der Regel die Vorfälligkeitsentschädigung.

Es heißt oft, dass man die Vorfälligkeitsentschädigung umgehen kann. Wie geht man vor, um die Vorfälligkeitsentschädigung zu vermeiden oder zu reduzieren?

Marvin Müller-Blom: Wenn von der Umgehung der Vorfälligkeitsentschädigung die Rede ist, ist meist ein rechtlicher „Hebel“ wie der Widerrufsjoker oder der Ausschlusstatbestand des § 502 Abs. 2 Nr. 2 BGB gemeint, mit dem das Kreditinstitut dazu gebracht werden kann, von einer rechtlich fragwürdigen Forderung abzusehen. Ohne ein entsprechendes rechtliches Druckmittel – „Hebel“ – und den Verweis auf bereits rechtkräftige gerichtliche Entscheidungen ist es in der Regel weniger wahrscheinlich, dass ein Kreditinstitut dem Kunden hier ohne Gerichtsverfahren entgegenkommt. Dies gelingt in der Regel nur, wenn die Fortführung der Geschäftsbeziehung mit dem Kunden für das Kreditinstitut von erheblichem Wert ist, etwa weil das Kreditinstitut auch die Geschäftsbeziehungen des Unternehmens des Kunden betreut. In jedem Fall ist es wichtig, die eigene Rechtsposition im Vorfeld sorgfältig zu prüfen. Oft ist es auch ratsam, die Verhandlungen von einem versierten Rechtsanwalt führen zu lassen, um fragwürdigen rechtlichen Argumenten fundiert begegnen zu können.

Herr Müller-Blom, vielen Dank für das Gespräch!

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