Verbraucher, die ein nach dem 20. März 2016 abgeschlossenes Immobiliendarlehen gegen Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung vorzeitig abgelöst haben, können die Entschädigung von der Bank zurückfordern. Warum ist es überhaupt möglich, unter Umständen, die Vorfälligkeitsentschädigung zurückzufordern?
Markus Feck: Die Hoffnung auf das problemlose Ausspielen des „Widerrufsjokers“ muss ich bereits jetzt dämpfen, denn die Ansichten des Bundesgerichtshofes weichen hier erheblich von der Rechtsauffassung des Europäischen Gerichtshof ab. Zur Erklärung muss ich ein wenig ausholen: Immobiliardarlehensverträge, die vor dem 01.09.2002 geschlossen wurden, sind in aller Regel nicht widerruflich. Grund hierfür ist, dass ein gesetzliches Widerrufsrecht zum damaligen Zeitpunkt nicht bestand. Verträge, die zwischen dem 01.09.2002 und 10.06.2010 geschlossen wurden, waren nur bis zum 21.06.2016 widerrufbar. Die Ursache war eine gesetzliche Neuregelung, die den massenhaften Widersprüchen von Verbraucher:Innen entgegen wirken sollte. War die Belehrung fehlerhaft, musste bis zum 21.06.2016 der Widerruf bei dem finanzierenden Institut eingegangen sein. Fehlt die Belehrung in Gänze, gilt das ewige Widerrufsrecht weiter. Verträge aus der Zeit 11.06.2010 bis 20.03.2016, können bei fehlerhafter oder fehlender Belehrung unendlich lange widerrufen werden. Für Verträge ab dem 21.03.2016 gilt eine Widerrufsfrist von maximal einem Jahr und vierzehn Tagen, wenn die Belehrung fehlerhaft war oder gänzlich fehlte.
Nun entschied der Europäische Gerichtshof am 26.03.2020 (C-66/19) dass der in Deutschland typische „Kaskadenverweis“ den Anforderungen der europäischen Vorgaben nicht genüge und somit fehlerhaft sei. Unter Kaskadenverweis versteht man einen Verweis, der auf ein Gesetz verweist, das wiederum auf andere Vorschriften Bezug nimmt. Das Urteil des EuGH nährte also die Hoffnung, dass diese Rechtsprechung die Tür zum Widerrufsjoker wieder öffnet. Nur wenige Tage später machte der BGH in Beschlüssen deutlich, dass er dieser Meinung nicht folge (Beschluss vom 31.03.2020 – XI ZR 581/18). Er hält die europarechtlichen Vorgaben nicht für verletzt, da diese sich auf Allgemein-Verbraucherdarlehensverträge und nicht auf Immobiliardarlehensverträge beziehen.
Ein unbestrittener „Widerrufsjoker“ bei Immobiliardarlehensverträgen existiert also nicht. Man kann die Rechtsprechung des EuGH in Gesprächen mit der Bank oder Sparkasse einführen, wird dort aber in aller Regel auf Granit beißen.
Wann ist der Einsatz des Widerrufsjokers möglich?
Markus Feck: Eins vorweg: lassen Sie Ihren Vertrag von einer auf Bankrecht spezialisierten Kanzlei prüfen. Möglich ist der Widerruf für die Verträge, die zwischen 11.06.2010 und 20.03.2016 geschlossen wurden, wenn die Belehrung den Kaskadenverweis enthielt oder vollständig fehlte. Die Kreditinstitute werden den Widerruf regelmäßig nicht akzeptieren, so dass die Verbraucher:Innen sich vorab Gedanken über die entstehenden Kosten – außergerichtlich und gerichtlich – machen sollten.
Was gibt es bei der Rückforderung der Vorfälligkeitsentschädigung zu beachten?
Markus Feck: Akzeptiert die finanzierende Bank den Widerruf, ist eine Vorfälligkeitsentschädigung gar nicht zu zahlen. In der Vergangenheit ist aber häufig vorgekommen, dass bei erklärtem Widerruf eine Vorfälligkeitsentschädigung genommen wurde, um einen gerichtlichen Streit über das Widerrufsrecht zu vermeiden. Vorteil für Verbraucher: Innen: sie haben die Gewissheit, den Kredit (weit) vor Ablauf der Zinsbindung zurückzahlen zu können. Aber auch hier sollte zwingend fachkundiger Rat eingeholt werden. Die Einzelheiten der Berechnung sind im Einzelfall häufig streitig. Die Ansichten, ob und wie Risikokosten, Verwaltungskosten und Entgelte anzusetzen sind, gehen weit auseinander. Auch die heranzuziehenden Vergleichszinsen oder der Zeitpunkt der Berechnung differieren und können im Einzelfall zu erheblichen Unterschieden führen. Fachkundiger Rat ist hier dringend geboten. Die Verbraucherzentrale Bremen bietet zum Beispiel eine Beratung und Überprüfung an.
Für die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung gibt es verschiedene Möglichkeiten. Dabei wird allerdings oft auf die Aktiv-Passiv-Methode zurückgegriffen. Was sind die Nachteile dieser Methode aus Sicht des Kreditnehmers?
Markus Feck: Grundsätzlich darf das Kreditinstitut durch die Vorfälligkeitsentschädigung nicht besser, aber auch nicht schlechter gestellt werden als wäre der Darlehensvertrag vereinbarungsgemäß durchgeführt worden. Bei der Berechnung gab es lange Zeit Streit. Die Aktiv-Passiv-Methode ist vom BGH ausdrücklich anerkannt worden. Die Methode geht davon aus, dass der vorzeitig zurückgezahlte Darlehensbetrag am Kapital wiederangelegt wird. Die Differenz zwischen dem Zufluss der Darlehenszinsen (Vertragserfüllung wie vereinbart vorausgesetzt) und den zu erwarten Zinsen der Kapitalanlage stellt den Schaden (= Vorfälligkeitsentschädigung) dar. Der Nachteil für die Kund: Innen ist, dass die Wiederanlagezinsen typischerweise unter den Darlehenszinsen liegen, sie also immer zahlen müssen.
Es heißt oft, dass man die Vorfälligkeitsentschädigung umgehen kann. Wie geht man vor, um die Vorfälligkeitsentschädigung zu vermeiden oder zu reduzieren?
Markus Feck: Der akzeptierte oder rechtskräftig festgestellte Widerruf lässt die Vorfälligkeitsentschädigung entfallen. Auch eine Entscheidung des OLG Frankfurt vom 01.07.2020 (17 U 810/19) bietet die die Möglichkeit der Vermeidung oder Erstattung. Die Verbraucher: Innen sollten Darlehensverträge, die seit dem 21.06.2016 abgeschlossen wurden, fachkundig prüfen lassen, ob dort enthaltene Klauseln zur Angabe der Laufzeit, zum Kündigungsrecht und zur Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung, diese entfallen lassen. Über Reduzierung kann man sich streiten, wenn die Institute verschiedene Faktoren bei der Berechnung zu Lasten der Kund: Innen anwenden. Auch hier ist Streit vorprogrammiert.