Herr Thieme, Sie warnen eindringlich davor, dass in Zukunft großen Teilen der Gesellschaft Altersarmut droht. Ist das nicht ein wenig überdramatisiert?
Sven Thieme: Keineswegs, die Situation ist mehr als ernst. Die Ansprüche aus der gesetzlichen Rente sinken kontinuierlich. Das Rentenpaket schreibt eine Standardrente nach 45 Beitragsjahren von gerade einmal 48 Prozent fest. Benötigt werden aber eher 80 Prozent des letzten Nettoeinkommens, um im Alter den Lebensstandard halten zu können. Diese Differenz, welche als Versorgungslücke bezeichnet wird, ist also erheblich und muss durch flächendeckend private Vorsorgeleistungen gedeckt werden, um in Zukunft massenhafte Altersarmut zu verhindern. Sämtliche Studien zeigen allerdings, dass es zwar ein Bewusstsein für diese Problematik gibt, aber kaum jemand die entsprechenden Konsequenzen zieht. Etwa 70 Prozent aller Deutschen schätzen die eigene Vorsorge für das Alter als ungenügend ein. Diese Zahlen sind wirklich beunruhigend und werden sich durch die Folgen der Corona-Pandemie voraussichtlich noch verschärfen.
Welche konkreten Auswirkungen hat die Corona-Krise für die Altersvorsorge?
Sven Thieme: In diesem Zusammenhang gibt es mehrere Dimensionen, die zu beachten sind. Ganz offensichtlich sind die wirtschaftlichen Folgen des Lock Down konkret steigende Arbeitslosigkeit und die sehr intensive Nutzung von Kurzarbeit. Beides hat Folgen für die Einkommen der betroffenen Menschen und zieht unweigerlich Abschläge bei den Rentenansprüchen nach sich. Gleichzeitig sinkt bei den Betroffenen natürlich die Möglichkeit privat für das Alter zurückzulegen. Wenn die Wirtschaft nicht schnell wieder an Fahrt aufnimmt, könnte sich die Corona-Krise auch langfristig auf die Gehaltsentwicklung und das durchschnittliche Lohnniveau auswirken – mit entsprechenden Konsequenzen für die Altersvorsorge. Besonders problematisch in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass einkommensschwache Bevölkerungsschichten, bei denen das Risiko für Altersarmut sehr hoch ist, durch die Pandemie überdurchschnittlich oft betroffen sind. Vor allem Frauen und Alleinerziehende, die stark unter den KITA- und Schulschließungen leiden und aufgrund einer höheren Teilzeitquote sowie dem Gender Pay Gap eh zur Risikogruppe zählen, sparen derzeit stärker an der privaten Altersvorsorge als Vergleichsgruppen.
Die Bundesregierung versucht die wirtschaftlichen Schäden durch milliardenschwere Hilfsprogramme abzufedern. Wie bewerten Sie die politischen Reaktionen auf die Krise?
Sven Thieme: Die entschlossene Reaktion der Politik ist in jedem Fall begrüßenswert und kann die schlimmsten kurzfristigen Folgen eventuell verhindern. Mittel- und langfristig werden die Hilfspakete aber auch negative Trends verstärken. Es ist absehbar, dass die Schuldenquote signifikant steigen wird, was die finanziellen Spielräume in der Zukunft zumindest einschränken wird. Für die Entwicklung des Rentenniveaus sind das erstmal keine guten Nachrichten. Aufgrund der demographischen Entwicklung wird der Druck auf die Rentenkassen in den nächsten Jahren sowieso deutlich zunehmen. Derzeit kommen auf 60 Rentner rund 100 Beitragszahler. In spätestens zehn Jahren wird dieser Wert bei 1:1 liegen. Als logische Folge werden die Rentenansprüche sinken, während die Kosten weiter steigen. Dem umlagefinanzierten System droht dann der Kollaps und der politische Handlungsspielraum ist eingeschränkt.
Sie scherzen?
Sven Thieme: Das Thema ist zu ernst für Späße. Forscher der Bertelsmann Stiftung, des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung und des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung kamen zu dem Ergebnis, dass die Armutsrisikoquote bis zum Jahr 2035 von derzeit 16 Prozent auf 20 Prozent steigen wird. Der Anteil von Rentnern, die von Grundsicherung leben müssen, wird wohl um rund 30 Prozent von derzeit 5,5 auf 7 Prozent steigen. Die Ängste vor Altersarmut sind berechtigt und reichen bis weit in die Mittelschicht. Das Vertrauen in die gesetzliche Rente erodiert seit Jahren. Die aktuelle Krise könnte diese Trends noch verstärken.
Wie kann man sich effektiv vor Altersarmut schützen?
Sven Thieme: Am einfachsten ist es, wenn Sie zu dem glücklichen Teil der Bevölkerung gehören, die eine große Summe erben. 2018 verzeichneten wir in Deutschland Vermögensübertragungen durch Erbschaften und Schenkungen in Höhe von 84,7 Milliarden Euro – eine Steigerung um 12,7 Prozent im Vorjahresvergleich. Für alle anderen heißt es: Sparen, Sparen, Sparen. Ein Tipp an dieser Stelle: je früher Sie damit beginnen für das Alter zurückzulegen, desto eher werden Sie in der Lage sein, ausreichende Rücklagen für den Ruhestand zu bilden. Der Zinseszins-Effekt hilft dabei enorm.
Sichere Kapitalanlage bringen doch seit Langem nur noch Minizinsen. Wie soll da ein Vermögensaufbau gelingen?
Sven Thieme: Zugegebenermaßen ist die Rendite von Lebens- und Rentenversicherungen seit Jahren auf Talfahrt und bietet derzeit bestenfalls einen Inflationsausgleich. Andere Investmentklassen entwickelten sich hingegen deutlich besser. Beispielsweise konnten sich viele Aktionäre in den letzten zehn Jahren über die positive Marktentwicklung freuen und auch Sachwerte wie Immobilien und Edelmetalle verzeichneten teils deutliche Wertzuwächse. Die Niedrigzinspolitik macht die Strukturierung der privaten Altersvorsorge allerdings nicht einfacher, da haben Sie recht.
Viele Menschen fühlen sich bei der Planung der Altersvorsorge überfordert. Was raten Sie?
Sven Thieme: Holen Sie sich kompetente Hilfe und entwickeln Sie eine individuelle Strategie. Die Competent Investment Management stellt ihren Mandanten beispielsweise umfangreiche Informationen zum Thema Altersvorsorge zur Verfügung. Wichtig bei der Planung ist, die individuellen Lebensumstände zu berücksichtigen, denn nicht jede Form der Altersvorsorge passt zu jedem Lebensmodell. Pauschale Aussagen sind bei diesem Thema fehl am Platz.
Gibt es denn generell gültige Regeln, die bei der Planung der Altersvorsorge beachtet werden sollten?
Sven Thieme: Einige grundsätzliche Faustformeln gibt es schon. Sie sollten im Vorfeld die individuelle Versorgungslücke ermitteln und prüfen, ob Sie von staatlichen Zulagen und steuerlichen Vorteilen profitieren können. Riester- und Rüruprenten, aber auch die Betriebliche Altersvorsorge werden beispielsweise vom Staat subventioniert. Außerdem sollten Sie auf Diversifikation ihres Vermögens achten. Das bedeutet konkret, nicht alles auf eine Karte zu setzen, sondern Investitionen möglichst breit zu streuen.
Herr Thieme, vielen Dank für das Gespräch.