Welche bewährten Methoden oder Techniken empfehlen Sie, um Stress im Alltag zu reduzieren und Kopfschmerzen vorzubeugen?
Mein favorisiertes Tool zur Stressreduktion ist der Atem. Durch den Atem können wir z.B. ganz gezielt das parasympathische Nervensystem aktivieren, welches uns sehr rasch in den Zustand der Entspannung versetzen kann. Der Parasympathikus ist mit dem Sympathikus Teil unseres vegetativen Nervensystems. Während der Sympathikus für Anspannung (evolutionstechnisch für Kampf oder Flucht) zuständig ist, um uns kurzzeitig in Höchstleistung zu bringen, ist der Gegenspieler der Parasympathikus und eben zuständig für Entspannung und Erholung. Beide Bereiche sind in unserem Körper im Bestfall abwechselnd aktiv. Wenn nun jedoch durch unsere Lebensumstände und Außeneinflüsse daueraktiv ist, bleibt auch unser Stresslevel dauerhaft hoch. Die Folge sind bekannte körperliche Symptome, wie eben Kopfschmerzen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaflosigkeit, Erschöpfung uvm.
Nun haben wir also unseren Atem zur Verfügung und atmen müssen wir ja sowieso. Warum ihn also nicht gezielt für die Gesundheit und für die Stressreduktion einsetzen? Eine besonders bewährte Atemtechnik ist hierbei das kohärente Atmen.
Zusammen mit dem Atmen ist auch Kälte ein wunderbares Mittel, um die Resilienzfähigkeit zu steigern und den Körper flexibel auf belastende Situationen reagieren zu lassen (ganz abgesehen von den enormen Vorteilen für das Immunsystem). Eisbaden oder kalt duschen, und hier empfiehlt sich eine Kälteexposition von insgesamt 11 Minuten pro Woche, trainiert das gesamte Körpersystem auf den flexiblen und in kurzer Zeit ausgleichenden Umgang mit einem hohen Stressreiz, der Kälte. Und so lernt der Körper generell auf Stress rasch ausgleichend zu reagieren und den Druck abzufedern. Daneben wird durch das Eisbaden auch eine enorme Menge an Dopamin, dem Glückshormon, ausgeschüttet, welches uns ganz großartig hilft, Stressmomente besser zu bewältigen.
Bei all dem darf natürlich auch Bewegung nicht fehlen. Kurze Dehnübungen für den Nacken am Schreibtisch einbauen oder ein Headset beim Telefonieren verwenden, um nicht den Hörer zwischen Schulter und Kopf einzuklemmen. Immer wieder aufstehen, ein Glas Wasser holen und trinken und kurze Pause einbauen.
Dabei lassen sich ebenfalls immer wieder bewusste Atemübungen ganz leicht einbauen. Letztlich geht es hier um Bewusstsein und Eigenverantwortung, sich selbst und seinem Körper gegenüber. Um Hilfe zur Selbsthilfe und der Erkenntnis, welche Möglichkeiten wir selbst in der Hand haben, unsere Gesundheit bewusst zu leben.
Können Sie uns Einblicke in wirksame Entspannungsübungen oder -praktiken geben, die dazu beitragen, Stress abzubauen und Kopfschmerzen zu lindern?
Bei dem anfangs erwähnten kohärenten Atmen geht es darum, gleichmäßige und nicht zu tiefe Atemzüge zu machen. In einer mittleren Atemtiefe, so dass sich der Bauch/das Zwerchfell nicht zu sehr hebt und senkt, wird in einer gleichmäßigen Frequenz von je 6 Sekunden geatmet. Also 6 Sekunden einatmen, 6 Sekunden ausatmen, jeweils durch die Nase und ohne Pause. Dies ist gleichermaßen im Liegen, Sitzen oder Stehen empfehlenswert. Bereits bei einer Übungszeit von 5-10 Minuten pro Tag lassen sich innerhalb weniger Wochen Erfolge wie z.B. Ausgeglichenheit im Alltag, die Schlafqualität, die Stärkung des Parasympathikus und der Atemfunktion feststellen. Selbst beim Zähneputzen oder im Bett vor dem Einschlafen kann diese Technik leicht umgesetzt werden. Oder eben auch in stressigen Momenten während der Arbeit.
Daneben ist auch PMR, die Progressive Muskelentspannung nach Jacobson, eine leicht zu erlernende Methode. Hierbei werden nacheinander verschiedene Muskelgruppen im Körper kurz angespannt und wieder entspannt. Beginnend mit der rechten Hand, über die Arme, weiter zu Gesicht und Nacken, hinunter zum Rücken und abschließend über die Beine zu den Füßen.
Auch hierbei wird auf einen ruhigen und gleichmäßigen Atem geachtet. Besonders bei Kopfschmerzen, Migräne und Kiefergelenkverspannungen (CMD) sind hierbei gute Erfolge zu erzielen.
Um ebenfalls angespannte Muskeln im Schulter-/Nackenbereich zu entlasten, empfehlen sich Dehnübungen. Hier z.B. das Schulterkreisen oder Nackendehnen, in dem man das Kinn Richtung Brustbein zieht und dabei die Halswirbelsäule dehnt. Auch das seitliche Dehnen der Halsmuskulatur durch das Ablegen des Kopfes auf der linken und rechten Schulter. Bei den Dehnübungen sollte man jedoch achtsam und langsam vorgehen und bei Vorerkrankungen des Bewegungsapparates vorab eine ärztliche Meinung einholen. Hier kann das Risiko einer Verletzung bei unachtsamer Anwendung höher als der Nutzen sein.
Auch Akupressurmatten sind ein gutes Mittel im Bereich der Stressreduktion. Sie sind mit kleinen Akupressurspitzen versehen, die die Durchblutung anregen, für Muskelentspannung sorgen und die Ausschüttung von Endorphin anregen. Dieses Hormon (ebenfalls ein sogenanntes Glückshormon) lindert die Schmerzempfindlichkeit und kann so auch im Bereich von Kopf- und Spannungsschmerzen für Linderung sorgen. Besonders abends vor dem Einschlafen kann man sie für 15-20 Minuten nutzen und dann herrlich entspannt in den Schlaf fallen.
Welche Rolle spielt die Ernährung bei der Vorbeugung von Kopfschmerzen, und welche Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel könnten dazu beitragen, Stress abzubauen?
Die Ernährung spielt eine große Rolle, um uns in stressigen Situationen gut zu unterstützen. Oftmals greifen wir bei Stress jedoch zu zucker- oder fettreichen industriell gefertigten Produkten (von Lebensmitteln möchte hier nicht sprechen), um den Körper rasch mit der nötigen Energie zu versorgen – weil es eben schnell gehen soll und wir sowieso gerade wenig Zeit haben.
Sinnvoller sind jedoch gesunde Lebensmittel, wie Obst und Gemüse. Sie liefern wichtige Vitamine (wie z.B. A, C und E), die besonders bei der Herstellung von Adrenalin (dem Stresshormon) benötigt werden und somit der Speicher wieder aufgefüllt werden kann. Auch Nüsse oder Cashewkerne sind ein guter Lieferant für wertvolle Fette, Vitamine (besonders B-Vitamine) und Nährstoffe. Paranüsse enthalten viel Selen, welches u.a. beruhigend auf unser Nervensystem wirkt. Walnüsse sind ebenso wunderbar mit einem hohen Vitamin E-Anteil für unser Nervensystem. Bananen sind reich an Magnesium und verringert die Müdigkeit. Haferflocken machen lange satt (neben Vitamin B1 und B3) und verringern die Heißhungerattacken, die bei Stress gerne entstehen.
Grundsätzlich gehört eine gesunde und ausgewogene Ernährung dazu, um einen gesunden Lebensstil zu erhalten. Auch und gerade in stressigen Zeiten kann das Kochen einer gesunden Mahlzeit auch entspannend wirken. Alle Sinne werden stimuliert und auch die Freude, danach ein leckeres und gesundes Gericht auf dem Teller zu haben, hilft, um die Laune zu verbessern.
Der Gedanke, dass Fertiggerichte ja viel schneller auf dem Teller landen, wenn ich sowieso gerade knapp in der Zeit bin, ist ein Trugschluss. Es hängt davon ab, wie ich mich organisiere, was ich z.B. vorbereite und dann ebenso schnell auf dem Teller habe. Gekochte Kartoffeln gehören für mich immer als Basic in den Kühlschrank. Daraus lassen sich blitzschnell vielfältige Speisen zubereiten, ob Salate oder Bratkartoffeln, Suppe oder Aufläufe. Frisches Gemüse ist dazu ebenso rasch zubereitet und fertig ist ein vollwertiges Gericht.
Ob es sinnvoll ist, Nahrungsergänzungsmittel zu nehmen, hängt meiner Meinung nach von dem körpereigenen Bedarf ab. Hier rate ich dazu, vorab ein Blutbild anfertigen zu lassen und so zu sehen, ob es an einer Stelle eine Unterversorgung gibt. Dann kann man gezielt supplementieren und dabei unbedingt auf hochwertige Produkte zurückgreifen.
Welche Lifestyle-Änderungen oder -gewohnheiten empfehlen Sie Menschen, die anfällig für Kopfschmerzen aufgrund von Stress sind?
Um stressbedingte Kopfschmerzen langfristig zu verabschieden ist es wichtig, auf einen ausgeglichenen Lebensstil zu achten. So abgedroschen es oftmals klingen mag, so wichtig ist die Achtsamkeit jedoch für unser Leben in Balance. Wenn ich nonstop auf Hochtouren laufe, mich ungesund ernähre und kaum bewege und keine Pausen und Erholungsphasen einbaue, dann wird der Körper reagieren und mir meine Grenzen zeigen. Eben in Form von Kopfschmerzen, Verspannungen, Schlafstörungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen uvm.
Letztlich geht es auch hier um die Eigenverantwortung. Das „Ich kann nicht“ oder „Ich habe keine Zeit“ sind – so hart es klingen mag – vorgeschobene Gründe. Denn wir haben nur diesen einen Körper in diesem Leben. Wenn ich ein zufriedenes und glückliches Leben führen möchte, muss ich mir dessen bewusst werden. Dabei ist es sinnvoll, in kleinen Schritten die Änderung der festgefahrenen Gewohnheiten anzugehen, in den sogenannten „tiny habits“. Wenn ich mir das Ziel zu hochstecke, ist die Gefahr, dass ich resigniere und es sein lasse, recht hoch. Wenn ich jedoch anfange, mir z.B. den Wecker stündlich zu stellen, um vom Schreibtisch aufzustehen, mich kurz zu bewegen und ein Glas Wasser zu trinken, dann ist das machbar. Wenn ich morgens im Bett 5 Minuten Atemübungen mache, anstatt mich durch Social Media zu scrollen, dann ist das machbar. Wenn ich mir abends 1-2 mal pro Woche Kartoffeln vorkoche, um diverse Gerichte daraus zu zaubern, dann ist das machbar. Das Wichtigste ist dabei, sich wirklich ganz klar bewusst zu machen, ich ändere Dinge für mich, und zwar nur für mich, für niemanden sonst. Wenn ich ein Leben in Balance führe, dann ist das zunächst nur für mich wichtig. Um eben entspannt und gesund durch das Leben zu gehen. Dass sich dies dann auch noch positiv auf mein Umfeld auswirkt, ist ein wunderbarer „Nebeneffekt“. Generell sind die Säulen „Schlaf, Ernährung, Bewegung, Kälte und Atmung“ ein wichtiger Index für die Gesundheit. Sorge ich für ausreichend Schlaf in einer entspannten Atmosphäre und Bewegung, habe ich eine gesunde Ernährung, setze ich eine bewusste Atmung ein und beziehe ich Kälte mit ein (Eisbaden), so habe ich eine optimale Basis, um ein gesundes Leben in Balance und Ausgeglichenheit zu führen.
Gibt es spezielle Tipps oder Ratschläge zur Stressbewältigung, die Sie unseren Zuhörern oder Lesern empfehlen könnten, um ihre allgemeine Gesundheit zu verbessern und Kopfschmerzen zu minimieren?
Wie schon oben erwähnt, sind die 5 Säulen des Lebens (Schlaf, Ernährung, Bewegung, Kälte und Atmung) ein wichtiger, wenn nicht entscheidender Bereich, um in stressigen Situationen gelassen und resilient zu bleiben bzw. zu sein. In akuten Momenten sind dazu noch ätherische Öle ein Tipp, den ich immer wieder ausspreche. Und zwar hochwertige und naturreine Öle, ohne chemische Füllstoffe. Ob es ein Pfefferminzöl ist, das großartig bei Kopfschmerzen hilft und die Tabletten erspart, oder ein Lavendelöl, dass mich entspannen lässt. Ein Zitrusöl, wie Zitrone oder Orange, das stimmungsaufhellend wirkt und gute Laune verbreitet. Naturreine Öle können im Tee oder Wasser eingenommen werden oder in der Duftlampe bzw. einem Diffusor den Raum entsprechend duften lassen. In Punkto Bewegung ist es nicht entscheiden, Sport nun exzessiv zu betreiben. Auch ein Spaziergang in etwas höherem Tempo ist schon gut für das gesamte Herz-Kreislauf-System. Dazu noch die frische Luft, fertig. Auch Treppen laufen statt Aufzug oder Rolltreppe nehmen, kann ich leicht umsetzen. Das Auto nicht vor der Tür, sondern eher um die Ecke parken. So sammele ich schon Schritte und Bewegung über den Tag verteilt. Es gilt immer zu schauen, was kann ich leicht umsetzen, ohne wahnsinnig viel Aufwand zu betreiben. Sonst falle ich eher wieder in die unliebsamen Gewohnheiten zurück. Bei all diesen Bereichen geht es immer um die Übung und das Bewusstsein, um das Dranbleiben und auch um das „gnädig mit sich sein“, wenn es mal einen Tag nicht geklappt hat. Je länger ich dranbleibe und umsetze, umso eher wird es eine neue und gesunde Gewohnheit.
Mein letzter Tipp, um auch in die Tiefe zu gehen, ist zu schauen, was denn auch die emotionalen und seelischen Ursachen meines körperlichen Symptoms sind. Jeder Bereich im Körper und somit auch das Symptom ist mit einem mentalen Thema verknüpft. Bei Kopfschmerzen ganz allgemein gesprochen, steht oftmals das Thema „Angst und Zweifel“ dahinter. Wie sehr vertraue ich mir bzw. wie sehr zweifele ich an mir. Zweifeln löst Unsicherheit aus und Unsicherheit macht Angst. So gehe ich nicht meinen Weg und staue Energien in mir auf. Diese aufgestauten Energien wiederum sind wie ein Druckkessel, der sich gerne eben im Kopfbereich anstaut und eben Kopfschmerzen auslöst. Schaue ich mir jedoch an, in welchem Lebensbereich ich mit Ängsten und Zweifeln zu tun habe, kann ich es zunächst verstehen und einordnen, anerkennen und dann auch in die Veränderung gehen. Dies ist jetzt nur ein minimaler Exkurs in den Bereich der Psychosomatik und ganz an der Oberfläche angesiedelt. Dennoch ist es eine weitere und sehr unterstützende Möglichkeit, sich mit körperlichen Themen auseinanderzusetzen.
Frau Bolten, vielen herzlichen Dank für das Interview.