Von Stefan Fritsch, CEO der Grünhorn Gruppe
Als ich 2020 Grünhorn gründete, war mir bewusst, dass der deutsche Medizinalcannabis-Markt ein enormes Potenzial birgt. Was ich jedoch im ersten Halbjahr nach der Teillegalisierung im April 2024 erlebte, übertraf selbst unsere optimistischsten Prognosen. Die Nachfrage nach medizinischem Cannabis ist rasant gestiegen, und die Grünhorn Gruppe in Leipzig musste sich schnell an die neuen Gegebenheiten anpassen. Als Geschäftsführer der Cannabisgruppe mit dem größten Cannabisvolumen – 20 Prozent aller Cannabis-Rezepte laufen über Grünhorn – möchte ich einige der wichtigsten Erkenntnisse teilen, die wir während dieser intensiven Phase gewonnen haben.
Explosion der Nachfrage: Suche nach alternativen Behandlungsoptionen
Die Teillegalisierung hat den Zugang zu Cannabis drastisch vereinfacht. Unsere Daten zeigen, dass sich der Markt für verschreibungspflichtiges Cannabis innerhalb weniger Monate verdoppelt bis verdreifacht hat. Vor allem unsere eigene Cannabis-Apotheke, die größte Online-Versandapotheke Deutschlands in diesem Bereich, konnte einen beispiellosen Anstieg neuer Patientinnen und Patienten verzeichnen. Allein diese Zahl hat sich verfünffacht.
Dieser Zuwachs betrifft nicht nur schwerkranke Patientinnen und Patienten wie bisher, sondern durch die neue Gesetzgebung auch Menschen, die unter weit verbreiteten Beschwerden wie Migräne, chronischen Rückenschmerzen, Schlafproblemen und Stress leiden. Diese Patientengruppen profitieren besonders von der vereinfachten Verordnung und Verfügbarkeit von medizinischem Cannabis, denn sie können nun relativ einfach Rezepte über Telekliniken oder Arztpraxen erhalten. Für viele Menschen ist es eine echte Erleichterung, dass sie mit der Einnahme von Cannabisextrakten oder -kapseln sowie der Inhalation von Cannabisblüten auf eine natürliche Behandlungsmethode zurückgreifen können, die rund 100 Jahre durch gesetzliche Restriktionen eingeschränkt war. Dabei war Cannabis zuvor ein bewährtes Heilmittel und früher in vielen Medizinschränken zu finden. Probleme in den Bereichen Schmerzwahrnehmung, Schlaf, Stimmung, Appetit usw. lassen sich mit Cannabinoiden aus der Cannabispflanze über das menschliche Endocannabinoidsystem ansteuern.
Automatisierung als Schlüssel zur Effizienzsteigerung
Um dieser gesteigerten Nachfrage durch die Entnahme von Cannabis aus dem Betäubungsmittelgesetz gerecht zu werden, mussten wir unsere Produktionsprozesse optimieren. Bei Cannabis handelt es sich nach deutscher Regelung nämlich immer um ein Rezepturarzneimittel, das in der Apotheke hergestellt werden muss. Ein bedeutender Fortschritt war hier unser automatisiertes Warenlager sowie die Teil-Automatisierung der Abfüllung von Cannabisblüten in der Defektur. Während andere Apotheken in Deutschland noch auf manuelle Prozesse setzen und Apotheker:innen Blüte für Blüte in die Behältnisse legen, haben wir bei Grünhorn ein Verfahren entwickelt, das es uns ermöglicht, bis zu 60 Gläser pro Minute abzufüllen – schnell, aber gleichzeitig sehr schonend für die empfindlichen Blüten und ihre Wirkstoffe.
Dieser Schritt war dringend notwendig, denn der deutsche Markt leidet besonders am Wirtschaftsstandort Ostdeutschland unter einem massiven Mangel an pharmazeutisch ausgebildetem Personal. Grünhorn hat seinen Sitz in Sachsen und versucht seit Jahren, mit der Politik vor Ort zu guten Lösungen zu gelangen, um den Aufschwung durch Medizinunternehmen weiter voranzutreiben. Bestimmte Aufgaben, wie die Zubereitung von Cannabispräparaten, dürfen jedoch nach wie vor ausschließlich von Apotheker:innen oder geschultem PTA-Personal durchgeführt werden. Angesichts dieser Engpässe war die Automatisierung der entscheidende Weg, um das Geschäft zu skalieren und gleichzeitig die streng kontrollierte und regulierte Qualität der Produkte zu gewährleisten.
Besserer Zugang durch neue Regelungen und bessere Forschung
Ein entscheidender Fortschritt war die jüngste Änderung der Cannabis-Gesetzgebung, die es spezialisierten Ärztinnen und Ärzten unter bestimmten Bedingungen ermöglicht, Cannabis ohne vorherige Genehmigung durch die Krankenkassen zu verschreiben. Dies verkürzt nicht nur die Wartezeiten für Patient:innen erheblich, sondern gibt den Ärzten auch mehr professionelle Autonomie, ihre medizinischen Entscheidungen unabhängig von bürokratischen Hürden zu treffen. Zugleich bedeutet dies eine deutliche Legitimation und Anerkennung von Cannabis als ernstzunehmendes Medikament – eine Entwicklung, für die ich von Anfang an eingetreten bin.
Ein Grundpfeiler für diese Anerkennung sowie einen damit einhergehenden besseren und kontrollierten Zugang zu Cannabisprodukten ist die Forschung und Aufklärung, die aufgrund des Cannabisverbots über viele Jahre zu kurz gekommen sind. In den letzten Monaten der Teillegalisierung habe ich festgestellt, wie groß der Nachholbedarf in der öffentlichen Wahrnehmung von Cannabis ist. Die Einstellungen vieler Menschen sind immer noch von alten Vorurteilen geprägt, die Cannabis mit gefährlichen Drogen gleichsetzen. Dieser Wissensmangel ist besorgniserregend und zeigt, wie stark die jahrzehntelange Prohibition die Forschung und Aufklärung behindert hat. Aus diesem Grund haben wir die Grünhorn-Akademie gegründet, eine Plattform, die sich der Aufklärung und Forschung widmet. Über Podcasts, Artikel und Interviews bieten wir sowohl Patienten als auch Ärzten fundierte Informationen über die medizinischen Vorteile von Cannabis. Unser Ziel ist es, nicht nur medizinisches Fachpersonal, sondern auch die breite Öffentlichkeit über die tatsächlichen Potenziale und Risiken von Cannabis aufzuklären.
Durch unser eigenes Labor haben wir Zugang zu umfangreichen Analysen von Terpenen und Cannabinoiden, die direkt in die Produktentwicklung einfließen. Anders als viele Marktteilnehmer, die Cannabisprodukte nach Deutschland importieren, entwickeln wir unsere eigenen Sorten basierend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Ein Beispiel dafür ist unser digitales „Blütenfinder“-Tool, das Patienten und Ärzten ermöglicht, die richtige Sorte basierend auf ihrer gewünschten Wirkung zu finden – ob z.B. beruhigend, energetisierend oder schmerzlindernd. Die Kombination aus wissenschaftlicher Expertise und praktischer Anwendbarkeit hilft uns, Patienten eine gezielte und personalisierte Therapie zu bieten.
Der Kampf gegen den Schwarzmarkt
Trotz der positiven Entwicklungen stehen wir noch vor großen Herausforderungen. Ein zentrales Problem bleibt der Schwarzmarkt, der nach wie vor viele Patienten anzieht, da der Zugang zu medizinischem Cannabis für einige immer noch zu kompliziert ist. Hier sehe ich eine der größten Aufgaben für die Zukunft: Den Zugang zu sauberem, hochwertigem und sicherem Cannabis weiter zu vereinfachen und dabei den Schwarzmarkt auszutrocknen. Wir bei Grünhorn arbeiten daran, diesen Prozess so einfach und transparent wie möglich zu gestalten. Gleichzeitig stehen wir in engem Austausch mit Ärzten und Regulierungsbehörden, um durch fachliche Aufklärung Vorbehalte und bürokratische Hürden weiter abzubauen. Der Markt für medizinisches Cannabis birgt noch enormes Potenzial, und ich freue mich darauf, dieses gemeinsam mit meinem Team weiter zu erschließen.
Die Teillegalisierung von Cannabis in Deutschland ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, doch es bleibt noch viel zu tun. Die Grünhorn Gruppe setzt sich dafür ein, den Markt zu professionalisieren, die Qualität zu sichern und die Versorgung der Patientinnen und Patienten weiter zu verbessern. Die ersten sechs Monate waren erst der Anfang – die Zukunft einer adäquaten Versorgung mit medizinischem Cannabis in Deutschland hat gerade erst begonnen.