Von Dr. Katja Rösch, Fachanwältin für Erbrecht und Testamentsvollstreckerin
Die sogenannte Kernfamilie, bestehend aus einem verheirateten Elternpaar mit gemeinsamen Kindern, ist in Deutschland nach wie vor zwar die mit Abstand häufigste Familienform.
Die Patchworkfamilie ist jedoch auf dem Vormarsch. Circa 15 Prozent der Familien in Deutschland sind bereits Patchworkfamilien – Tendenz steigend. Die Patchwork-Familie gilt sogar für viele als das Familienmodell der Zukunft.
Die sog. Patchwork-Familien treten in vielfältigen Erscheinungsformen auf. Sie haben ihre Ursache sowohl in hohen Ehescheidungszahlen und darauffolgenden neuen ehelichen oder nichtehelichen Partnerschaften, als auch in einer generell steigenden Anzahl nichtehelicher Lebensgemeinschaften.
Die gesetzliche Erbfolge, die mit Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches im Jahr 1900 verankert wurde, kannte damals solche gesellschaftlichen Formen des Zusammenlebens nicht und liefert von Gesetzes wegen nur wenig befriedigende Lösungen. Der Gesetzgeber hat das deutsche Erbrecht auf die Kernfamilie mit verheirateten Eltern und deren gemeinsamen leiblichen Kindern zugeschnitten.
Zufallsgenerator Gesetzliche Erbfolge
Wenn die Partner nicht verheiratet sind, hat dies zur Folge, dass jeder Elternteil nur von seinen leiblichen Kindern beerbt wird und nicht nur das Stiefkind, sondern auch der Partner von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen ist.
Eine ungeregelte, der gesetzlichen Erbfolge überlassene Nachfolge bei Patchwork-Konstellationen führt jedoch auch bei verheirateten Partnern zu einem enormen Konfliktpotential.
Das Erbschaftssteuerrecht zeigt sich dabei noch relativ nachsichtig und gewährt den Stiefkindern ebenfalls den erbschaftssteuerlichen Freibetrag von € 400.000 beim Tod des Stiefelternteils (Bei nichtehelichen Lebensgemeinschaften handelt es sich hingegen nicht um Stiefkindern. Sie haben also, ebenso wie der nicht verheiratete Lebenspartner, nur einen Erbschaftssteuerfreibetrag von € 20.000,- in der ungünstigen Steuerklasse III).
Erbrechtlich und pflichtteilsrechtlich sind die Folgen jedoch anders.
Verstirbt ein Elternteil, sieht das gesetzliche Erbrecht, welches dem System der Ordnungen folgt, eine Verteilung des Nachlasses zwischen Ehepartner und den leiblichen Kindern des Verstorbenen vor. Die nicht leiblichen (Stief-) Kinder sind nicht erbberechtigt.
Bei Patchwork-Familien führt genau dies aber sehr oft zu willkürlichen Ergebnissen, wenn die gesetzliche Erbfolge greift. Oftmals hängt es schlicht vom Zufall ab, wann welcher Elternteil verstirbt, inwieweit die eigenen Kinder der Höhe nach am Nachlass beteiligt werden.
Beispiel
Ein Ehepaar, jeweils in zweiter Ehe verheiratet, hat jeweils ein eigenes leibliches Kind aus erster Ehe in die neue Ehe eingebracht. Das Paar hat keinen Ehevertrag und lebt zusammen im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft.
Stirbt ein Ehegatte, ohne eine letztwillige Verfügung errichtet zu haben, entsteht eine Erbengemeinschaft zwischen dem überlebenden Ehepartner und dem leiblichen Kind des Verstorbenen mit Erbquoten von jeweils 50 Prozent.
Verstirbt dann später der noch lebende Elternteil, erbt nur dessen leibliches Kind alleine dessen Vermögen.
Das Kind des vorverstorbenen Elternteils ist nicht mehr erbberechtigt und hat auch keinen Pflichtteilsanspruch. Es wird quasi doppelt bestraft. Der hälftige Erbanteil, den der überlebende Ehegatte von seinem vorverstorbenen Ehegatten erhalten hat, fällt ausschließlich an die leiblichen Abkömmlinge des Letztversterbenden. Die Hälfte des Vermögens des leiblichen Elternteiles geht quasi verloren.
„Das“ Patchwork-Testament
Da die Vorstellungen der Ehepartner vielfältig sein können, gibt es auch nicht ein festes Muster für das richtige Patchwork-Testament. Noch mehr als bei klassischen Familienkonstellationen gilt es für den erbrechtlichen Berater umso mehr herauszuarbeiten, welche Ziele verfolgt werden.
Steht die Absicherung des Ehepartners im Vordergrund, die Weitergabe des eigenen Vermögens an das eigene, leibliche Kind oder eine Gleichbehandlung der eigenen Kinder mit den Stiefkindern? Diese Fragen sind vorab zu klären.
Vorsicht Falle: Berliner Testament
Das Berliner Testament zeichnet sich dadurch aus, dass die Ehepartner sich gegenseitig als Alleinerben für den ersten Todesfall einsetzen und dann – mit dem Wunsch doch alle gleich zu behandeln – eigene Kinder und Stiefkinder als Schlusserben einzusetzen.
Hier werden Kinder und Stiefkinder, vordergründig betrachtet, gleichbehandelt. Dennoch muss das leibliche Kind des erstversterbenden Ehepartners befürchten am Ende leer auszugehen, wenn es im ersten Todesfall seines leiblichen Elternteiles, im Vertrauen auf die spätere Gleichbehandlung und Schlusserbeneinsetzung, sein Pflichtteilsrecht nicht geltend macht und später feststellen muss, dass es zwar Erbe wird, es aber schlicht und ergreifend nichts mehr zum Erben gibt.
Die richtige Auswahl aus dem Koffer verschiedener Gestaltungsinstrumente
Je nach persönlichen Zielvorstellungen sind die passenden Gestaltungsinstrumente, die das Erbrecht bietet, einzusetzen.
Wenn es das vorrangige Ziel ist das Stiefkind von der Erbfolge auszuschließen, ist dies zunächst kein großes gestalterisches Problem. Da ein Stiefkind gegenüber dem Stiefelternteil nicht pflichtteilsberechtigt ist, muss das Stiefkind daher einfach nur nicht im Testament berücksichtigt werden.
Wird jedoch der Partner im Testament berücksichtigt, so mehrt sich dadurch dessen Vermögen. Das wiederum kommt seinem Nachlass zum Zeitpunkt seines Todes zugute, was letztendlich das Stiefkind irgendwann am Vermögen seines Stiefelternteils doch wiederum beteiligt.
Um einerseits den Ehepartner abzusichern, andererseits den Erhalt des Vermögens für das eigene, leibliche Kind zu sichern, bietet sich bei Patchwork-Konstellationen vor allem die Gestaltungsform der Vor- und Nacherbschaft als geeignetes Gestaltungsinstrument an.
Alternativ könnten die Ehepartner in zusammengesetzten Patchwork-Familien jeweils ihre eigenen Kinder als Alleinerben einsetzen und den überlebenden Partner mit einem Vermächtnis, z.B. mit einem Nießbrauchsvermächtnis an einer Immobilie, absichern.
Hierbei sollte aber immer bedacht werden, dass der überlebende Ehegatte Pflichtteilsansprüche besitzt, sofern keine (wechselseitigen) Pflichtteilsverzichte unter den Ehegatten abgegeben wurden.
Fazit:
Um den erbrechtlichen und gegebenenfalls sogar erbschaftssteuerlichen „Supergau“ bei Patchwork-Familien zu vermeiden, sollte – noch viel mehr als bei herkömmlichen Familiensituationen – ein besonderes Augenmerk auf eine an den Zielvorstellungen und Wünschen ausgerichtete maßgeschneiderte professionelle Gestaltung des „Letzten Willens“ gelegt werden.