ESG-Fonds als sogenannte „Nachhaltige Anlagefonds“ halten nicht, was sie versprechen? Forscher zweifeln am Nutzen von ESG-Fonds, z.B. fürs Klima. Sind ESG-Fonds nur Placebo-Fonds?
Wiebke Merbeth: Wichtig ist in erster Linie die Frage, was wir unter Nachhaltigkeit verstehen! Forschung, Investorenseite und Fondsanbieter bekommen durch die Regulierung zukünftig Leitplanken zur Seite gestellt, nach denen ESG-Fonds und Placebos kategorisiert werden. Im Sommer 2021 sind die Regeln dazu noch nicht final, so dass Nachhaltigkeit für den einen nur die Konzentration auf Klimaschutzmaßnahmen bedeutet. Für den anderen müssen zusätzlich zahlreiche ethische Fragestellungen einbezogen werden. Wichtig ist, dass Produkte, um als nachhaltig zu gelten, Mindeststandards in Hinblick auf Transparenz sowie Verantwortung gegenüber Mensch und Umwelt einhalten müssen. Diese Voraussetzung gilt im Übrigen nicht nur für Fonds, sondern auch für alle anderen Produkte und Dienstleistungen.
Können Sie kurz erklären, was ESG-Fonds sind und welche Kriterien sie berücksichtigen?
Wiebke Merbeth: Bei der Investition in Unternehmen und Staaten werden seit jeher Rückzahlungswahrscheinlichkeit, Kursentwicklungspotential und sogenannte „Fundamentaldaten“ analysiert. Ein großer Teil davon lässt sich unter dem G für Governance subsumieren. Das E für Environment umfasst Kennzahlen zu Umweltthemen wie Klimadaten, Wasserverbrauch und Kreislaufwirtschaft und ergänzt die Analyse um einen entscheidenden, weil risikorelevanten, Bereich. Und schließlich erweitern soziale Normen und Mindestkriterien wie die Einhaltung von Menschenrechtskonventionen die Analyse. Wie die Gewichtung der Themen und damit der Titel im Fonds ausfällt, hängt von den Anlagerichtlinien, den Risikoparametern und der Zielrichtung des Fonds ab. Bei der BayernInvest fokussieren wir das Transformationspotential der Unternehmen und haben den Dekarbonisierungspfad, gerade bei den vermeintlich schmutzigeren Sektoren, im Fokus. In den Publikumsfonds werden Titel gehalten, die den UN Global Compact genügen. Und wir differenzieren gerade bei Rüstung, Kohle und Tabak danach, wie viel ein Konzern noch in diesen Geschäftsfeldern verdient.
Warum zweifeln Forscher an dem Nutzen von ESG-Fonds für das Klima? Sind die Fonds so ökologisch, ethisch und sozial, wie sie vorgeben?
Wiebke Merbeth: Zwei Antworten: Erstens muss man sich bei jeder Investmentstrategie fragen, wie sehr damit der tatsächliche aktuelle Ausstoß an Treibhausgasen reduziert wird. Nur weil ich die Daimler-Aktie gegen die Tesla-Aktie tausche, wird kein Gramm CO2 weniger emittiert. Deshalb ist es zweitens so wichtig, mit den Unternehmen (und übrigens auch den Staaten) zu den ökologischen, ethischen und sozialen Themen in den Dialog zu treten. Aktive Stimmrechtsausübung und Engagement sind der Schlüssel, sich seine Verantwortung als Investor oder Investorin bewusst zu machen und die Wirtschaft genauso wie das eigene Portfolio auf den Weg zu einer ganzheitlich nachhaltigeren Ausrichtung zu bringen. Das ist zeit- und geldaufwendig, das mag zäh sein und erfordert bei Misserfolg auch, sich von dem Emittenten zu verabschieden. Aber De-Investments sind im Jahr 2021 nur dann die Antwort, wenn die Risiken nicht mehr adäquat bepreist werden. Technologischer Fortschritt, gerade bei anlageintensiven Branchen, kostet Zeit. Und das Zusammenspiel von E, S und G ist die eigentliche Herausforderung.
Existieren die ESG-Fonds nur, um Anlegern ein „reines Gewissen“ zu schaffen?
Wiebke Merbeth: Wie würden Sie die Frage in Bezug auf vegane Würstchen und Bio-Tomaten beantworten? In jedem Fall nicht mit einem eindeutigen Ja oder Nein. ESG-Fonds gibt es schon seit vielen Jahrzehnten und jetzt sind wir dank politischem Druck, aber vor allem der Transparenz an Daten und Konsumentenverhalten in der Lage, Nachhaltigkeit in den konventionellen Bereich zu überführen. Das braucht Zeit, aber es hilft uns, den Stakeholder Value, also den breiten Blick auf Wertschöpfungsketten und Verantwortung, zu erhalten.
Viele Fonds inszenieren sich nachhaltig und sind es in Wirklichkeit nicht. Wie können Anleger durchschauen, ob es sich tatsächlich um eine nachhaltige Anlage handelt, oder ob sie nur einen grünen Anstrich bekommen hat?
Wiebke Merbeth: Wann ist denn ein Produkt für Sie „wirklich nachhaltig“? Wenn es Risiken transparent aufzeigt und einpreist? Oder wenn es Risiken bestmöglich eliminiert? Es ist indiskutabel, dass Mindeststandards mit ordentlichem Ambitionsniveau von den Emittenten einzuhalten sind, sonst sie nicht investierbar. Aber darüber hinaus wollen wir in Unternehmen investieren, die den technologischen Fortschritt umweltfreundlich angehen, die sich ihrer transitorischen Risiken bewusst sind, die Klimarisiken einpreisen – die Internalisierung externer Effekte also. Eine nachhaltige Kapitalanlage muss die finanzielle Rendite mit der ökologischen und sozialen Rendite verknüpfen.
Könnte sich eine Investition in Nachhaltigkeit trotzdem lohnen?
Wiebke Merbeth: Unbedingt, aber erstens müssen wir als Investoren viel langfristiger orientiert anlegen und wir müssen uns engagieren, in dem wir Branchen und Unternehmen auf ihre Baustellen hinweisen. Das Gespür dafür, was richtig und zukunftsweisend für Mensch und Umwelt ist, muss mit Daten untermauert und neu adjustiert werden. Dann ist Nachhaltigkeit auch und gerade am Kapitalmarkt integriert.