Die großen Indizes Dow Jones, DAX oder Nikkei verzeichnen regelmäßig neue Höchststände. In deren Fahrwasser starten Tech-Aktien voll durch. Wo gibt es noch Einstiegs-Potenzial?
Kathrin Eichler: Wir bewegen uns mittlerweile in einer sehr digitalen Welt. Diese Entwicklung hat durch die Corona-Pandemie an Dynamik gewonnen, und auch wenn dies natürlich keine wünschenswerten Begleitumstände sind, kann man nicht leugnen, dass wir an der Börse von eine Vor-Corona-Welt und einer Nach-Corona-Welt sprechen.
Vor diesem Hintergrund gehe ich auch nicht davon aus, dass eine mögliche Tech-Blase zu platzen droht, so wie es manche Marktteilnehmer gern tun. Potential gibt es meines Erachtens überall noch dort, wo sich die digitale Arbeitswelt weiter fortentwickeln wird, sprich Thema Home Office in all seinen Facetten. Dies betrifft insbesondere die Branche der Dienstleister.
In der produzierenden Industrie wird das Thema Automation und Robotik immer weiter Eingang in die Produktionsabläufe finden, auch hier gibt es noch spannende Anlagemöglichkeiten.
Ein anderer bedeutender Trend – wenn auch nicht ganz neu, aber bei Börsenanlegern noch gern vernachlässigt – ist der gesamte Bereich E-Gaming. Wider Erwarten liegt die Zielgruppe der Anwender auch nicht nur bei den U30-Anwendern. Das Durchschnittsalter liegt mittlerweile tatsächlich bei einem Alter von 50 Jahren. Demnach ‚gamen‘ nicht nur junge Menschen im Internet. Anleger sollten sich vor diesem Hintergrund verschiedene Titel aus diesem Segment genauer anschauen.
Kann man den Anstieg der Tech-Werte Amazon, Apple, Netflix und Tesla fundamental erklären?
Kathrin Eichler: Wenn Sie mit fundamental die klassische Value-Bewertung eines Unternehmens an der Börse meinen, dann fällt einem dieses natürlich sehr schwer. Die Kurse sind auf einem Niveau, mit dem der klassische Aktienanalyst tatsächlich seine Schwierigkeiten hat.
Aber für mich stellt sich die Frage, ob ich die großen Tech-Werte wie Amazon, Apple, Netflix oder auch Tesla durch diese Brille betrachten darf. Hier handelt es sich ja nicht um irgendwelche Start-Ups, sondern um etablierte Unternehmen, die ihre Marktstellung in der modernen Welt – wie ich finde – nachhaltig unterstrichen haben.
Also schauen wir doch bitte nicht nur in den Börsen-Rückspiegel, sondern richten den Blick nach vorn. Und ich meine, da kommen wir recht schnell zu dem Ergebnis, dass sich die technologische Welt – auch wenn wir die Corona-Pandemie irgendwann überwunden haben werden – nicht zurück entwickeln wird. Davon sollte man nicht ernsthaft ausgehen.
Schauen Sie sich den technologischen Wandel der letzten 50 Jahre an, in welchem Tempo wir die Telefonie- und Internetwelt weiterentwickelt haben. Gleiches gilt aber im Übrigen auch für die Automation in unseren klassischen Industrien wie Automobil oder Maschinenbau. Das hätten wir uns damals alle nicht träumen lassen. Meine Tochter (16 Jahre) fragte mich vor einigen Jahren, welches Handy ich denn als Schülerin zur Verfügung hatte. Dass es dieses damals noch gar nicht gab, konnte sie nicht glauben und ich ehrlich gesagt auch nicht, denn wie schnell hat sich unser verändertes Kommunikationsverhalten als ganz natürlich in unseren Alltag geschlichen.
Alle Welt spricht von Gold als sicheren Anlage-Hafen. Soll man trotzdem dem Trend der Tech-Werte folgen und Aktien kaufen?
Kathrin Eichler: Ich möchte diese Frage nicht nach dem Ausschlussprinzip beantworten, also Tech-Werte oder Gold. In einem ausgewogenen Depot sollten sich beide Welten wiederfinden.
Die Welt erscheint vielen Anlegern aus den Fugen geraten zu sein. Es gibt – neben Corona – auch viele andere, politische Themen, die die Menschen bewegen. Eine Trennung zwischen Politik und Wirtschaft gelingt ja nur noch ganz bedingt, eine Entflechtung beider Bereiche ist kaum mehr möglich.
Nach meiner Erfahrung treibt die Uneinigkeit der Europäer auf politischer Ebene viele Anleger ins Gold. Sie fürchten sich vor einem Auseinanderfallen der europäischen Gemeinschaft, die diese Bezeichnung in vielen europäischen Fragen aktuell tatsächlich nicht verdient. Sie sind beunruhigt in punkto Stabilität des EURO.
Nennen Sie mich naiv, aber ich denke, dass wir auch die offenen, europäischen Fragen beantworten werden, ohne dass die Gemeinschaft morgen auseinanderbricht. Ich bin überzeugte Europäerin, denn die wirtschaftlichen Vorteile – gerade auch für Deutschland – sind immens und werden leider viel zu selten herausgestellt und betont.
Trotzdem gehört neben Aktien auch Gold in ein ausgewogenes Depot, schon allein, um das Risiko im Portfolio überschaubar zu gestalten.
Wo sehen Sie das größte Wertsteigerungspotenzial bei den nicht etablierten Werten?
Kathrin Eichler: Blicken wir in dem Zusammenhang auf die Branchen, die in den meisten Kundendepots bisher noch wenig Eingang ins Portfolio gefunden haben.
Bezogen auf die Tech-Welt liegen unsere Favoriten aktuell im Bereich E-Gaming, hier präferieren wir unter anderem Titel wie Activision Blizzard, Take-Two oder auch Electronic Arts.
Darüber hinaus investieren wir in Werte der internetbasierten Arbeitsorganisation und – kommunikation. Konkret findet sich zum Beispiel COMPUGROUP Med. auf unserer Empfehlungsliste. Dabei handelt es sich ausnahmsweise sogar um einen deutschen Wert in der Tech-Welt, die ja ansonsten sehr US-lastig ist. Dies ist wahrscheinlich auch ein Grund, warum der deutsche Anleger im Durchschnitt zu wenig Technologie in seinen Anlagen wiederfindet.
Ist es ratsam, jetzt Gewinnmitnahmen zu machen und zu verkaufen, wenn man bereits an den Kursanstiegen gut verdient hat?
Kathrin Eichler: Jeder Anleger freut sich, wenn er mit seiner Titelauswahl richtig und somit wunderbar im Gewinn liegt. Und diese zu realisieren, ist natürlich eine feine Sache. Im Rahmen des Portfoliomanagements sind zwei wesentliche Aspekte zu berücksichtigen: zum einen die strategische Ausrichtung des Depots, und zum anderen die taktische Komponente der Investments.
Unter strategischem Aspekt würde ich die Tech-Werte grundsätzlich im Depot belassen. Aufgrund der starken Kurssteigerungen sind die Einzelpositionen bei vielen Anlegern aber wahrscheinlich so groß geworden, dass ich sogenannte Spitzen abbauen würde, d.h. wenn die Aktie jetzt aktuell mit 6-7% oder mehr im Depot gewichtet ist, würde ich die Position auf max. 4% Gewichtung abbauen.
Unter taktischen Gesichtspunkten empfehle ich demnach Teilgewinnmitnahmen.
Wie robust wird sich z.B. der Tec-Dax im Zuge der Corona-Krise Ihrer Meinung nach zeigen?
Kathrin Eichler: Wenn wir über technologische Trends und deren Weiterentwicklung sprechen, diskutieren wir ja vornehmlich über US-amerikanische Unternehmen.
Im deutschen Tec-Dax finden sich sowohl etablierte Tech-Werte wie Infineon und SAP, um nur Zwei zu nennen, mit COMPUGROUP oder TEAMVIEWER allerdings auch vielversprechende, junge Unternehmen, die in der neuen, digitalen Welt angekommen sind.
Wir gehen davon aus, dass ausgesuchte Werte aus dem Tec-Dax an der positiven Weiterentwicklung der Trends beteiligt sein werden und somit Potential auch im Vergleich zu dem einen oder anderen US-amerikanischen Titel bieten. Die Corona-Krise wird diese Entwicklung auch weiter dynamisieren.