Wie gehen Finanzplaner mit den derzeit herausfordernden Marktbedingungen um, insbesondere im Hinblick auf steigende Zinsen und die Inflation?
Grundsätzlich ist die Finanzplanung langfristig ausgerichtet und berücksichtigt die wiederkehrenden Turbulenzen an den Kapitalmärkten, wie etwa Börsencrashs am Aktienmarkt oder bedeutende Zinsänderungen am Anleihenmarkt. Entscheidend ist im Grunde genommen, überhaupt einen Finanzplan zu haben. Das ist jedoch nur bei den wenigsten Menschen der Fall. In einem Finanzplan werden i.d.R. die historischen Inflationsraten zwischen 2% und 3% p.a. berücksichtigt. Diese herrschten immer während der DM-Zeiten. Die letzten 20 Jahre zeigten dann niedrigere Inflationsraten, was teilweise zu weniger Beachtung der Inflation führte. Im übrigen ist die Inflation für viele langfristig schwer vorstellbar, ähnlich wie auch der Zinseszinseffekt für Viele schwer vorstellbar ist. Aus einer Ausgabe von 1.000 € werden bei 3% Inflation ca. 2.356 €, also das fast 2,4 fache. In Bezug auf die aktuellen Bedingungen führe ich folgende Maßnahmen durch: Zum einen eine regelmäßige Überprüfung und Optimierung der persönlichen Ausgaben, insbesondere im Bereich Individualkonsum. Damit kann man der Inflation kurzfristig i.d.R. am besten begegnen. Im übrigen kann man hier https://service.destatis.de/inflationsrechner/ seine persönliche Inflationsrate berechnen. Zum anderen eine Optimierung der Vermögensstruktur: Hier geht es in erster Linie um eine angemessene Anlage der Gelder, um gering verzinstes oder ungenutztes Kapital zu minimieren. Die Vermögensstruktur vieler Menschen weist nach meiner Erfahrung eine zu niedrige Aktienquote auf.
Inwiefern sind kurzfristige Bankprodukte, die nun wieder risikolos Geld parken lassen, relevant für Finanzplaner, insbesondere in Bezug auf die kurzfristige Liquidität?
Nun die Zinsen sind zwar gestiegen aber wenn man die aktuellen Geldmarktzinsen und die Inflation ins Verhältnis setzt, so ergeben sich aktuell negative Realzinsen. Wenn man also sein Geld auf ein Festgeldkonto für z.B. 1 Jahr parkt, dann bleibt nach Inflation nichts übrig, im Gegenteil es entsteht sogar ein Minus. Im übrigen war das im Durchschnitt der letzten 20 Jahre immer der Fall. Die so genannte Liquiditätsreserve ist im Wert nach Inflation also nie gewachsen. Daher macht es Sinn regelmäßig die Vermögensstruktur zu optimieren: Einer der Haupthebel bei der Renditeerhöhung seiner Kapitalanlagen ist es, möglichst wenig Geld gering verzinst bzw. gar nicht angelegt zu haben. Also die Gelder auf Girokonten oder gering verzinsten Cashkonten, die unbeachtet einfach so „rumliegen“. Dort sollte nur eine so genannte Liquiditätsreserve für unvorhergesehene Ausgaben liegen. Das restliche Kapital sollte sozusagen lohnender angelegt sein. Wie schon erwähnt, weist die Vermögensstruktur der meisten Menschen eine zu niedrige Aktienquote aus. Einer der Hauptgründe dafür ist natürlich auch mangelndes Finanzwissen. Erfahrungsgemäß ist es hier die Hauptaufgabe des Finanzplaners für den nötigen Wissenstransfer insbesondere über Risiken zu sorgen. Denn daran mangelt es i.d.R. in der Finanzbranche. Insofern wirbt ein seriöser Finanzplaner aktuell also nicht damit, dass man jetzt wieder „tolle“ Zinsen bekommt sondern nimmt dieses Zinsniveau sozusagen einfach mit. Denn wie erwähnt ist das ja auch notwendig, um nach Abzug der Inflation nicht zu sehr im Minus zu sein.
Welche konkreten Fragen und Anpassungswünsche haben Ihre Kunden zuletzt geäußert, insbesondere in Bezug auf Fonds- oder Aktienportfolios sowie Vermögensverwaltung?
Also wenn ich Ihnen ehrlich antworten soll, dann keine! Denn ich verwende am Beginn der Zusammenarbeit immer relativ viel Zeit dafür Grundlagenwissen zu Wertpapieren und Investmentfonds, über die Funktionsweise, Zusammenhänge sowie die Chancen und Risiken zu vermitteln. Umfangreiches Informationsmaterial, selbstverständlich abgespeckt und individuell zugeschnitten nutze ich, um dieses Wissen zu vermitteln. Insbesondere bespreche ich die Risiken und wie sich diese konkret im Laufe der letzten 50 bis 100 Jahre dargestellt haben, sowie welche Strategien zur Steuerung dieser Risiken es gibt. Das hat dazu geführt, dass die Kunden hier i.d.R. keine Anpassungswünsche äußern. Ich bin allerdings auch ein Anhänger des so genannten „passiven“ Investmentansatzes, bei dem Markttiming i.d.R. keine bedeutende Rolle spielt.
Haben sich aufgrund aktueller Entwicklungen die grundsätzlichen Empfehlungen für den Vermögensaufbau oder die Stellschrauben kurz vor Beginn der Rente verändert?
Vom Grundsatz her nicht. Die jeweils geeignete Anlagestrategie wird nämlich maßgeblich geprägt von den persönlichen Verhältnissen der Kunden, also der Risikobereitschaft, der Risikotragfähigkeit und den Lebenszielen und nicht durch die Kapitalmärkte. Insofern gilt i.d.R. für den langfristigen Vermögensaufbau eine höhere Aktienquote als für die Zeit kurz vor der Rente. Allerdings kann auch kurz vor der Rente die Aktienquote im Einzelfall noch relativ hoch sein. Das ist nämlich davon abhängig, welcher Bedarf an Kapitalentnahmen in der individuellen Situation gegeben ist, also welche Unterdeckung zwischen Einnahmen und Ausgaben im Rentenalter entstehen. Auch wer in Rente geht muss bzw. darf gegebenenfalls noch mit einem relativ langen Zeitraum planen.
Wie beurteilen Sie aktuell die Marktlage bei Immobilien in Deutschland, insbesondere vor dem Hintergrund des Zinsanstiegs und möglicher Auswirkungen auf Käufer und Mieten?
Aktuell ist es so, dass sich weniger Menschen das nötige Darlehen zur Finanzierung einer Immobilie leisten können als noch vor 2 Jahren. Zumindest wenn man das mit den Zeiten zwischen 2012 und 2021 vergleicht. Insbesondere in der Zeit zwischen 2015 und 2021 war das leistbare Kreditvolumen sehr viel höher. Diese Situation war aber eine absolute Ausnahme wenn man die letzten zig Jahre betrachtet. Ich persönlich habe für meine ersten Immobilienfinanzierungen in den 90 iger Jahren einen Darlehenszinssatz von über 7% bezahlt. Insofern kehren wir bei den Darlehenszinsen offensichtlich einfach ähnlich wie bei den Inflationsraten wieder zur langfristig gültigen „Normalität“ zurück. Wenn man sich auf der anderen Seite den so genannten OECD-Erschwinglichkeitsindex für Wohnimmobilien in Deutschland seit 1980 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1420579/umfrage/oecd-erschwinglichkeitsindex-fuer-wohnimmobilien-in-deutschland/ anschaut, so ist dieser wieder günstiger geworden. Das aktuelle Niveau liegt niedriger als im Großteil der 90 iger Jahre. Ich erlebe aktuell z.B. in München, dass Käufer erhebliche Preisnachlässe erzielen können. Wenn man für eine Immobilie 10% bis 20% weniger Kaufpreis bezahlt als noch vor 2 Jahren, dann kann man auch deutlich höhere Zinsen zahlen, und das Ganze ist auf lange Sicht nicht unbedingt ein schlechteres Geschäft. Aus rationaler Sicht macht es im übrigen eher mehr Sinn zur Miete zu wohnen und Immobilien zur Kapitalanlage zu kaufen. Denn hier hat man viele Steuervorteile. Die meisten Menschen agieren bei diesem Thema jedoch eher emotional. Das sollte man in der Beratung selbstverständlich grundsätzlich immer berücksichtigen.
Inwieweit haben Menschen mit weniger Einkommen Zugang zu Finanzplanung, und welche Maßnahmen könnten ergriffen werden, um dieses Paradoxon zu überwinden?
Hier ist natürlich die Frage, über welches Einkommen wir reden. Das durchschnittliche Nettoeinkommen eines ledigen Arbeitnehmers in Deutschland betrug 2023 ca. 2.285 € https://de.statista.com/statistik/daten/studie/164047/umfrage/jahresarbeitslohn-in-deutschland-seit-1960/#. Grundsätzlich ist es bei diesem Verdienst absolut möglich Zugang zu einem Finanzplan zu bekommen, für den man vielleicht einmalig zwischen 1.000 € und 2.000 € bezahlt. Ich persönlich gehe in so einem Fall z.B. so vor, dass man für ca. 200 € bereits sehr nützliche Grundinformationen bezogen auf die persönliche Situation bekommt, auf die man dann aufbauen kann. Zweiteres ist im übrigen psychologisch gesehen oft eine gute Vorgehensweise. Denn in Deutschland ist man es nicht gewohnt Geld für eine Finanzberatung oder gar Finanzplanung zu bezahlen. Man bezahlt nämlich üblicherweise indirekt über z.B. Abschlusskosten für die Beratung, und merkt das oft gar nicht so richtig. Zumindest könnten die meisten Menschen nicht beziffern, was Sie bisher in Ihrem Leben „indirekt“ für eine Beratung bezahlt haben. Das steht in den vielen Seiten des Produktangebotes nämlich auf irgendeiner Seite und geht quasi unter. Und es ist nun einmal so, dass bewusste Bezahlen einer Rechnung immer eine Art „Schmerz“ verursacht. Diesen will man natürlich vermeiden, und insofern kommt für die meisten Menschen eine Beratung oder Finanzplanung auf Honorarbasis nicht in Frage. Ich erlebe immer wieder, dass man das zum einen durch die Gegenüberstellung von Honorar- und Provisionsberatung überwinden kann. Zum anderen auch dadurch, dass man Finanzplanung überhaupt greifbar macht. Viele können sich darunter nämlich wenig vorstellen. Das ist aber oft ein Prozess. Ein Vorschlag an die Politik wäre, dass ein Honorar für Finanzplanung steuerlich geltend gemacht werden kann. Außerdem sollte es ein Schulfach zum Thema Finanzwissen geben. Ich habe im übrigen meine Firma Die Finanzcoaches genannt, da es mit Beratung alleine oft nicht getan ist. Es geht oft darum, das eigene Denkmuster, wie es im modernen Sprachgebrauch heißt, zu verändern, und es geht um die Entwicklung neuer Gewohnheiten.