Eine Debatte um die Belastungsfähigkeit der Lieferketten läuft nicht erst seit der Corona-Pandemie. Trotz massiver Probleme mit Lieferketten möchten aber nur wenige Unternehmen die Beschaffungen ersetzen. Warum haben trotz der Lieferkettenprobleme die Unternehmen nicht vor die globale Materialbeschaffung zu ersetzen?
Stefan Schrinner: Ich bin davon überzeugt, dass innerhalb der Unternehmungen konkret über die zukünftigen Lieferketten neu nachgedacht wird. Die derzeitigen Engpässe führen bei vielen Unternehmungen zu Lieferverzögerungen gegenüber ihren Kunden. Wer jetzt am schnellstens seine Verzögerungen in Griff bekommt, hat damit einen Wettbewerbsvorsprung. Die Unternehmungen werden künftig viel genauer hinschauen wie die Lieferketten auf Basis von Riskmanagementanalysen die Lieferfähigkeit zum Kunden sicherstellen.
Die Pandemie hatte einen Denkanstoß zur Rückholung der Materialproduktion nach Deutschland gegeben, nachdem Güter wie Mikrochips und medizinische Artikel nicht mehr zu beschaffen waren. Was würde eine europäische Produktion für die Wirtschaft bedeuten und ist diese überhaupt realistisch?
Stefan Schrinner: Nach meinen eigenen Erfahrungen waren die europäischen Lieferketten nie ganz verschwunden. Das sieht man in Europa an dem immer noch starken industriellen Mittelstand. Insbesondere im Maschinen- und Anlagenbau. Auch Osteuropa spielte in den letzten Jahren eine immer stärkere Rolle für die Industrie. In Bezug auf die Mikrochips-Industrie stellt sich natürlich die Frage, wer bereit ist, große Summen an Investitionen in die Hand zu nehmen.
Große Unternehmen setzen auf eine Maximierung der Zulieferer. Wie ist die Situation bei kleinen und mittelständischen Unternehmen?
Stefan Schrinner: Die Maximierung der Anzahl von Zulieferern ist der derzeitigen Situation am Markt geschuldet. Die Unternehmungen verfolgen weiterhin das Ziel, die Anzahl der Lieferanten über Vorzugslieferantenkonzepte oder Volumenbündelungen zu reduzieren. In Bezug auf kleine und mittelständische Unternehmen würde ich es in der derzeitigen Situation bevorzugen, dass die Großunternehmen den Bedarf für diese Unternehmungen mit bündeln und so in der Beschaffung unterstützen. Dann haben beide Seiten etwas davon und die Endkunden können termingerecht beliefert werden.
Inwiefern könnte die Abhängigkeit und Handelsbeziehung zwischen China, USA und EU durch Inlandproduktionen gestört werden?
Stefan Schrinner: Wir leben in einem freien Wettbewerb. Unternehmungen sind zur Gewinnmaximierung verpflichtet. Das war auch schon mit Beginn der Globalisierung so. Die Frage ist jedoch, inwieweit Unternehmungen sich bei der Gründung von Joint Ventures verpflichtet haben, Arbeitsplätze zu schaffen und Technologietransfers durchzuführen, um auf dem lokalen Markt tätig zu werden.