Die Corona-Pandemie hat zu einem erheblichem Digitalisierungsschub in Wirtschaft und Gesellschaft geführt. Welche aktuellen Trends und Entwicklungen werden auch nach der Pandemie bleiben?
Melanie Lammers: Im Vergleich zur Anfangsphase von COVID-19 erlebe ich an vielen Stellen einen Haltungswechsel: Zu Beginn der Pandemie waren alle Unternehmen, Unternehmer und Arbeitnehmer gezwungen, digital zu arbeiten und darüber nachzudenken, wie ihre Geschäftstätigkeiten trotz aller Einschränkungen weitergeführt werden können. Mittlerweile sind viele davon überzeugt, dass der digitale Weg der richtige ist. Viele Vorteile wurden klar: Höhere Transparenz und Geschwindigkeit durch digitalisierte Marketing- und Vertriebsprozesse, höhere Flexibilität und Verfügbarkeit durch virtuelle Kollaboration, attraktive digitale Alternativen für klassische Events, um nur einige zu nennen. Jüngste Untersuchungen aus dem B2B-Segment belegen, dass der beschleunigte Shift der Geschäftstätigkeit auf digitale Kanäle und Prozesse nachhaltig sein wird. Aus einer aktuellen, weltweiten Studie von McKinsey (https://www.mckinsey.com/business-functions/marketing-and-sales/our-insights/these-eight-charts-show-how-covid-19-has-changed-b2b-sales-forever) zum Verhalten von Entscheidungsträgern geht hervor: Sowohl B2B-Käufer als auch -Verkäufer bevorzugen die neue digitale Realität. Ihre Geschäftsprozesse und -erfahrungen gleichen sich den digitalen Prozessen in der privaten Welt an. Wer gewohnt ist, mit einem Klick auf Amazon zu bestellen, möchte sich in der Geschäftswelt nicht mit unzureichenden digitalen Interfaces auseinandersetzen müssen. Dementsprechend wird sich der Trend fortsetzen, dass Vertrieb & Sales bei Unternehmen mit Geschäftskunden massiv digitalisiert wird und die Investitionsbereitschaft in digitale Marketing-Aktivierung weiter steigt. Aktuelles Beispiel: WMF, der Hersteller von Haushalts-, Gastronomie- und Hotelleriewaren, hat vor kurzem einen virtuellen B2B-Showroom gestartet (https://www.internetworld.de/digitaler-handel/online-handel/wmf-startet-virtuellen-b2b-showroom-2624044.html). Und: Die Tür zum B2B-Social Selling – also das Verkaufen über Social Media Kanäle – ist aufgestoßen. Im Consumer-Bereich haben wir schon im letzten Jahr gesehen, wie gut das funktionieren kann, zum Beispiel auf Instagram. Eine Adaption in B2B-Businesses ist eine Frage der Zeit und des Mutes von Entscheidern, durch diese Tür hindurchzugehen. Auch Hybride-Arbeitsmodelle werden nach 2021 ihre Berechtigung beibehalten. Warum? Weil wir in vielen Branchen gesehen haben, dass es funktioniert. New Work ist jetzt. Die Management- und Führungsaufgaben, die damit einhergehen, sind allerdings eine Herausforderung.
Auch offline-orientierte Unternehmen machen sich vermehrt Gedanken um Strategien zur Neukundengewinnung im Internet. Welche Optionen haben Firmen, um im Internet ihre Zielgruppen anzusprechen?
Melanie Lammers: Dass die Nachfrage vermehrt digital aktiviert werden muss, ist aus meiner vorangegangenen Antwort klar geworden. Um diese Nachfrage zielgerichtet zu aktivieren, müssen sich Unternehmen über ihre Zielgruppen und ihre Merkmale klar werden. Auf der Basis ist ein gezieltes Targeting mit reduzierten Streuverlusten möglich. Die Optionen der Ansprache sind vielfältig und müssen wiederum zielgruppenspezifisch ausgewählt werden. Von brandingwirksamen Werbeflächen wie Bannern hin zu informatorischer Ansprache über Studieninhalte oder Ratgeber bis hin zu personalisierter Ansprache über soziale Plattformen. Eines gilt in allen Fällen: Unternehmen werden sich hier professionalisieren müssen durch entsprechende Fachkräfte und Technologie.
Vor allem Content Marketing gilt neben klassischen Werbekampagnen als attraktive Möglichkeit Neukunden anzusprechen und Bestandskunden bei Laune zu halten. Wie gehen Sie bei der Konzeption einer Content Marketing Strategie vor?
Melanie Lammers: Bevor wir mit unseren B2B-Auftraggebern anfangen, über Content und Kanäle zu sprechen, fokussieren wir uns zunächst auf Unternehmenspositionierung und -strategie. Hierbei bearbeiten wir die Frage, welche Probleme das Unternehmen bei seinen Kunden löst. Ziel ist es, den inhaltlich wirkungsvollsten Ansatzpunkt für die Kommunikation über das Angebot des Unternehmens zu identifizieren. Die Kommunikationsstrategie wird anschließend daran ausgerichtet, das Unternehmen als Lösungsanbieter für ein empfundenes Kundenproblem zu positionieren. Erst dann geht es darum zu klären, mit welchen Themen und über welche Kanäle wir das erreichen können und welche Content-Formate sinnvoll sind. Viele Unternehmen erklären in ihrer Marketingkommunikation episch, was sie alles können und machen. Sie sind aber häufig nicht klar in ihrer Botschaft, für welche Zielgruppe sie welches Problem konkret lösen können. Oft fehlt der Kundenfokus, die Positionierung ist zu unscharf und die Botschaften zu generisch, weil man an zu vielen Stellen zu viel will. Wer als Experte am Markt wahrgenommen werden möchte, muss klar und konsistent sein. Je grösser ein Unternehmen und je komplexer sein Angebot, desto schwieriger ist dieser Prozess.
Die mobile Nutzung des Internets ist mittlerweile deutlich verbreiteter als die Nutzung mit Notebooks oder PCs. Wie hat sich das auf Kommunikationsstrategien von Unternehmen ausgewirkt?
Melanie Lammers: Während Notebooks oder PCs meist in einem Arbeitskontext benutzt werden, sind Smartphones oder auch Tablets ständige Begleiter: morgens direkt nach dem Aufwachen, auf dem Arbeitsweg, oder abends auf dem Sofa. Dabei verbringen wir immer mehr Zeit online: 2020 stieg die durchschnittliche Handynutzung auf über vier Stunden täglich. Viel Zeit wird dabei in den sozialen Medien verbracht. Hier werden Videos und Neuigkeiten geteilt und auch nach Unternehmen und Produkten gesucht. Grundlegend bedeutet dies zum einen, dass responsives Webdesign für den Webauftritt von Unternehmen zu einem Standard geworden ist. Viele Unternehmen haben zudem native Apps entwickelt, um ihren Kunden eine weitere Plattform zu bieten und sind auf den sozialen Medien aktiv, um Aufmerksamkeit für ihre Produkte zu schaffen. Mit Hilfe der vielen Kontaktpunkte sind Unternehmen heute rund um die Uhr bei ihren Kundinnen und Kunden präsent. Im Umkehrschluss erwarten diese, dass sie sich jederzeit mit einer Frage oder Beschwerde an das Unternehmen wenden können und eine zufriedenstellende Antwort erhalten. Ja, auch nach Dienstschluss und ja, auch sonntags. Dementsprechend ändern sich auch hier die Arbeitswelt und die notwendigen Prozesse.
Videoinhalte nehmen laut einer Studie von Cisco den größten Teil des Internets ein und erzielen auch in Social Media besonders gute Reichweiten und Verbreitung. Welche Formen von Videoinhalten sind grundsätzlich für Unternehmen nutzbar, von welchen raten Sie eher ab?
Melanie Lammers: Video ist gerade in den sozialen Medien das bei weitem bevorzugte Content-Format. Sie rangieren hier in der Beliebtheit bei Usern noch vor Bildformaten und lassen sich sehr gut dafür einsetzen, die Aufmerksamkeit auf eine Unternehmensmarke zu lenken. Unter einer Voraussetzung: Form und Inhalt des Videos sind passend zur Marke gedacht und ausgearbeitet. Ohne eine zielgerichtete Planung und passende Abstimmung entstehen bei den Zuschauern mehr Fragen als (gewünschte) Antworten. Influencer auf Instagram geben aktuell den Trend für kommende Videoformate vor: Kreativer, wenig organisierter, vorproduzierter Inhalt soll Authentizität vermitteln und die wahre Persönlichkeit hinter der Marke zeigen. Der #nofilter Trend bleibt uns damit erhalten.
Influencer-Marketing ist ein schnell wachsender Bereich, auch in Deutschland. Welche sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Trends in dieser Nische?
Melanie Lammers: Influencer Marketing hat sich in den letzten Jahren enorm professionalisiert und wird auch bei uns im B2B-Bereich aktiv nachgefragt: Es geht dabei häufig um den Aufbau von Mitarbeitern und leitenden Angestellten als sogenannte „Corporate Influencer“. Die Bandbreite an möglichen Influencern ist hier aber deutlich grösser: Auch Kunden, Geschäftspartner, unabhängige Marktexperten, Journalisten oder Personen aus special-interest-Communities können für Unternehmen relevant sein, auch mit geringeren Reichweiten. Bei sogenannten Micro- oder Nano-Influencern ist die Reputation oftmals wichtiger als die Reichweite. Im Consumer-Bereich beobachten wir, dass Influencer häufiger zu Brand-Partnern werden. Statt einzelner Kooperationen setzen Unternehmen auf längerfristige Partnerschaften mit Influencern, die zur Marke passen.