Bildung im Wandel: Die Anforderungen an Bildungseinrichtungen und Lehrer/innen haben sich im digitalen Zeitalter verändert. Wie haben Sie das in den letzten Jahren wahrgenommen?
Janine Romppel: Dieser Wandel, von dem Sie sprechen, war eher ein schleichender. Ich würde auch die Begrifflichkeit „Bildung im Wandel“ im Kontext der voranschreitenden Digitalisierung nicht treffend finden. Bildung hat sich gewandelt, das muss sie auch, Wissenschaft bleibt auch nicht stehen, daher ist es wichtig, die Inhaltsebene von Bildung „Was wird gelehrt?“ von der Wissensvermittlung „Wie lehre ich etwas?“ zu differenzieren. Die Digitalisierung und die damit verbundenen neuen Möglichkeiten von Lernarrangements oder Lernsettings, also dem „Wie vermittle ich etwas?“ haben nicht die Inhaltsebene der Bildung an sich verändert, aber den Umgang mit Bildung, den Zugang zu Bildung und die Ausweitung neuer Handlungskompetenzen, denn jeder Lehrende und Lernende sollte im besten Fall in den Prozess eines digitalisierten Lernens einbezogen werden. Und da kommt die Bildungseinrichtung ins Spiel. In den letzten Jahren hat sich unser Bildungsangebot etwas verändert, so dass u.a. nach einer Bedarfsermittlungsstudie (vgl. Romppel, 2011) ein Blended-Learning Angebot implementiert wurde. Aber auch die vermeintlich selbstverständliche, digitalisierte Infrastruktur musste in unserer Bildungseinrichtung überdacht und ausgebaut werden. Unseren Teilnehmenden war es zunehmend wichtiger, auch während des Unterrichtes mobil zu sein, um z.B. Dokumente über Clouds zu tauschen, um Suchmaschinen zu nutzen, ja einfach rund um die Uhr auch digital erreichbar zu sein. In den Zeiten ab März 2020 und mit der Ausweitung des Corona-Virus hat der Digitalisierung zwangsläufig in unserer Bildungsstätte einen enormen Schub gegeben. Unsere Bildungsangebote in unseren Managementbereichen (z.B. Medizinalfachperson für leitende Funktionen oder POCT-Koordinator*in) wurden 2020 zu über 63 Prozent über Onlinevarianten angeboten und zu über 10 Prozent im Hybridmodell (Möglichkeit der Vorort-Schulung als auch Onlinezuschaltung). Das war zu Beginn für alle eine Überforderung, mittlerweile eine Forderung: Die Technik musste besorgt werden und die Mitarbeitenden mussten diese lernen zu bedienen, es wurden Schulungen für die Dozierenden organisiert und die Teilnehmenden wurden technisch unterstützt. Sie müssen sich vorstellen, wir sind eine kleine Bildungseinrichtung ohne „IT-Abteilung“, hier packen alle an, es war ein richtiger Kraftakt. Jetzt sehen wir es als Chance, möchten auf den Zug aufspringen und zukünftig unsere Bildungsangebote unter der Fragestellung: „Welche Bildungsangebote können in Anbetracht ihres Qualifizierungsziels von digitalen Lerntools profitieren und wie muss dann die didaktische Umsetzung erfolgen?“ anschauen. Eine Bildungseinrichtung sollte nicht zwanghaft neue technologische Möglichkeiten in die Gestaltung von Lernprozessen einbinden, wenn darin auch kein Vorteil gesehen wird, aber dennoch offen im zukünftigen Gestaltungsprozess sein und damit die Adressaten*innen und deren Bedürfnisse im Blick behalten.
Die Veränderung in der Bevölkerungsstruktur mit Flüchtlingen und mehr Migranten führt zu veränderten Lerninhalten. Wie reagiert Ihre Einrichtung darauf?
Janine Romppel: Für uns als Bildungseinrichtung bestand bisher kein Handlungsbedarf in der Anpassung von Lerninhalten durch das Zukommen von Geflüchteten oder Migranten*innen. Unsere Bildungsangebote orientieren sich an einem vorab mit Experten*innen abgestimmten Curriculum. Um dies an einem Beispiel zu verdeutlichen: Die Zielgruppe der MTA hat die Möglichkeit, sich bei uns z.B. als Biomedizinische Analytiker*in mit dem Schwerpunkt Hämatologie weiterbilden zu lassen. Hier ändern sich die Lerninhalte entsprechend der Entwicklung von neuen Mikroskopiegeräten, Methoden oder neuen Erkenntnissen. Hier spielt es keine Rolle, ob unsere Teilnehmenden einen Migrationshintergrund haben oder nicht. Wir haben jedoch unser Bildungsprogramm um sogenannte „Anpassungslehrgänge“ erweitert. Personen, die ihre Ausbildung in einem MTLA-vergleichbaren Beruf im Ausland (insbesondere im Nicht-EU-Ausland) abgeschlossen haben, können durch einen solchen Anpassungslehrgang jene Kompetenzen erweitern bzw. kompensieren, die ihnen aufgrund der Unterschiede zur hiesigen deutschen Ausbildung fehlen, so dass sie nach Abschluss der Anpassungsqualifikation, die durch ein behördliches Verfahren festgestellt wird, einen vollwertigen MTLA-Abschluss erlangen können. Dies betrifft dann sicherlich auch Geflüchtete oder Migranten*innen. Wer jedoch welchen Status hat, interessiert uns in dem Sinne nicht, da es für die Teilnahme keine Rolle spielt. Was jedoch etwas anders läuft, ist die Ansprache der Teilnehmenden, da unter Umständen noch sprachliche Barrieren bestehen oder das Konzept Ausbildung oder auch ganz allgemein das „Behördensystem“ in Deutschland nicht immer ganz klar ist. Mir natürlich auch nicht immer.
In der Bildungsbranche gibt es auch ein sogenanntes Qualitätsmanagement. Welchen Anforderungen muss der Qualitätsbeauftragte eines Bildungsinstituts in der Praxis gerecht werden?
Janine Romppel: Auch in unserer Bildungseinrichtung gibt es ein Qualitätsmanagement, wenn auch nur intern und nicht auf dem Papier „zertifiziert“. Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Bei uns ist es in Planung. Wichtig ist mir, dass es ein gelebtes Qualitätsmanagement ist, sich jeder Mitarbeitende einbringen kann und nicht von oben nach unten vordiktiert wird. Da ich selbst Qualitätsbeauftragte in unserem Institut bin, kann ich sagen, dass es hohe, aber machbare Anforderungen sind, die mit dieser Rolle einhergehen. Im Praxistransfer bedeutet dies für die Qualitätsbeauftragte, dass die Zustimmung der Mitarbeitenden eingeholt werden muss. Wie gelingt dies? Durch Kommunikation, Transparenz, Anteilnahme, Einbeziehung und auch fachliche Argumentation, d.h. Was ist der Nutzen? Was verbessert sich dadurch? Die Anforderung für Qualitätsbeauftragte ist es also, eine Art Schnittstelle zwischen den beteiligten Akteuren zu sein, im Sinne der strategischen Ausrichtung die Ziele der Bildungseinrichtung einzubeziehen, was ein hohes Maß an Vernetzungsdenken erfordert, aber auch zu wissen, mit was sich ein professionelles Bildungsmanagement auseinandersetzen muss: Was versteht die Einrichtung unter „Lernen“, wer sind ihre Teilnehmenden, welche Prozesse sind aus Sicht des Lernenden, des Lehrenden und der Bildungseinrichtung in den Blick zu nehmen, wie wird gewährleistet, dass am Ende des Qualifizierungsangebotes auch das rauskommt, was gefordert wird? Wie werden die einzelnen Prozesse dokumentiert und besprochen? Sie sehen, dieses Thema ist sehr umfänglich. Ich selbst sehe davon ab, gerade Bildungsprozesse in bloße Diagramme zu pressen, wie es oftmals von einem klassischen Qualitätsmanagementsystem verlangt wird.
Man sagt, dass Lehrer/innen und Ausbilder/innen dem Stress in den Bildungseinrichtungen mit den Schülern kaum noch gewachsen sind. Haben Sie ähnliche Erfahrungen oder kennen Sie Beispiele dafür?
Janine Romppel: Dies trifft für uns nicht zu. Unsere Dozierenden haben nach wie vor große Freude, die Zielgruppe der MTA zu unterrichten. Da bei uns die Honorarkräfte auf freiwilliger Basis und auf Anfrage arbeiten, besteht eine hohe Eigenmotivation für unsere Kurse. Stress und Überforderung sind keine Themen bei uns.
Der „nationale Bildungsbericht für Deutschland“ benennt alle 2 Jahre Leistungen und Herausforderungen im deutschen Bildungssystem. Können Sie über Zweck und Nutzen kurz etwas sagen?
Janine Romppel: Für die Sparte der Erwachsenenbildung innerhalb des nationalen Bildungsberichtes besteht u.a. der Zweck darin, aufzuzeigen, wie wichtig es ist, Menschen darin zu unterstützen, beruflich anschlussfähig zu bleiben, aber auch gesellschaftliche und individuelle Entfaltung zu fördern. Besonders für bestimmte Gruppe wie z.B. Menschen mit Migrationshintergrund sind solche Ziele besonders relevant. Deswegen ist es genial, gezielt Weiterbildungsangebote zur Integration zu entwickeln, z.B. unsere Anpassungslehrgänge zur Anpassung und damit Anerkennung einer im Ausland erworbenen MTLA-Ausbildung, die dann im besten Fall über Förderprogramme (z.B. über IQ-Netzwerke) oder staatliche Programme finanziert werden. Solche Maßnahmen machen absolut Sinn und helfen dem Individuum, in der Gesellschaft anzukommen, was man nicht von jeder Bildungsmaßnahme behaupten kann.
Man spricht gerne vom „Recht auf Bildung“ und „Lebenslangem Lernen“. Wird Deutschland diesem Anspruch Ihrer Meinung nach voll gerecht?
Janine Romppel: Jeder sollte ein Recht auf Bildung haben. Ich gebe Ihnen ein Beispiel, um zu verdeutlichen, dass diese Aussage unter Umständen schwierig sein kann. Personen können bei uns ein berufsbegleitendes Masterstudium im Bereich der Gesundheitspädagogik absolvieren, worauf wir unter anderem auch auf die anstehende Änderung des MTA-Gesetzes und eine damit verbundene Vorgabe von Qualifizierungen z.B. dann für Lehrkräfte an MTA-Schulen reagieren. Nun gibt es ein tolles Angebot, aber nicht ausreichend Unterstützung, welches Interessierte eine Teilnahme ermöglichen würde. Die Teilnahme hängt vielmehr von der Unterstützung des Arbeitgebers, von den eigenen finanziellen und zeitlichen Ressourcen ab, aber nicht davon, ob man es gerne machen möchte. Es gibt ein Recht auf Bildungsurlaub, aber 10 Tage innerhalb von 2 Jahren reichen nicht aus. Unter Umständen sind die Interessierten auch nicht mehr förderfähig, da sie bereits eine Vorbildung mitbringen und andere Förderangebote ausgeschöpft haben oder schlichtweg für einige Förderprogramme nicht in Frage kommen (z.B. Altersbeschränkung für Begabtenförderung). Die einzelnen Unterstützungsprogramme für Bildung orientieren sich mehr wirtschaftlichem Interesse als an den Bedarfen eines Individuums. Also ist die Aussage „Recht auf Bildung“ ziemlich hochgegriffen und bedarf noch sehr viel Anstrengung, es besser zu machen. Positiv ist aber, dass durch die Digitalisierung die virtuelle Mobilität des Lernens vorangebracht wird und damit ein lebenslanges Lernen durch einen leichteren Zugang zur Bildung unterstützt wird. Es erfordert aber auch hohe Kompetenzen an den Lernenden selbst, der sich in einem Dschungel an Bildungsangeboten zurechtfinden muss. Ich nenne es lieber lebensbegleitendes Lernen, denn „lebenslang“ assoziiert in mir etwas Erschöpfendes, Festgeschriebenes. Ich denke, Deutschland braucht sich nicht zu verstecken, wenn es darum geht, welche Bildungsangebote, ob im privaten oder gemeinnützigen Anbieterbereich, angeboten werden. Ich habe auch bereits als Fachbereichsleitung in der Volkshochschule Potsdam-Mittelmark gearbeitet und die regionalen Bildungsangebote sind kreativ, klassisch, klug und bezahlbar. Die Arbeit von Volkshochschulen in Deutschland sind daher viel mehr in den Fokus zu rücken, denn sie tragen einen enorm wichtigen Beitrag für die Bildung in unserem Land und für ein lebensbegleitendes Leben bei. Sie sind mehr als bloße Bildungsanbieter, sondern auch Begegnungsorte, wo Menschen einen Raum zum Austausch haben.